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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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weite Strecken liegen brach da, denn es gibt Güter in einer Ausdehnung von fünfundzwanzigtausend Quadratmeilen, die der Besitzer niemals ganz kennen gelernt hat; den Kleinbauern fällt kaum ein Viertel des riesigen Ländergebietes zu.
    Dieser Stand der Dinge, der dem Lande zum Schaden gereicht, wird aber nach und nach abgeändert werden, schon allein wegen der gewaltsamen Logik, die in der Zukunft liegt. Übrigens zeigt sich der ungarische Bauer dem Fortschritte durchaus nicht abgeneigt. Er hat den guten Willen, Mut und den nötigen Verstand. Vielleicht könnte man eine zu große Selbstzufriedenheit an ihm tadeln, aber der deutsche Bauer krankt auch an diesem Fehler, und in höherem Maße. Zwischen den beiden besteht der Unterschied: der erstere glaubt alles lernen zu können, der letztere glaubt schon alles zu wissen!
    Nach Gran, das sich am rechten Donauufer ausbreitet, vermeinte ich einen Wechsel der bisherigen Szenerie zu bemerken. An Stelle der Pußta erheben sich lange und dichte Hügelketten, die äußersten Ausläufer der Karpathen und der Norischen Alpen, welche bis an den Fluß herantreten ihn einengen und auf ein schmales Durchbruchstal beschränken. Gran ist der Sitz eines Erzbischofs, Primas von Ungarn und dürfte wahrscheinlich das am meisten umworbene Bistum der Welt sein, falls die Güter dieser Erde für einen katholischen Prälaten überhaupt eine Anziehungskraft besitzen können. Tatsächlich erfreut sich der Inhaber dieses Bischofssitzes – welcher nebenbei Kardinal, Primas, Legat, Reichsfürst und Kanzler des Königreiches ist – eines Einkommens, das eine Million Pfund übersteigen kann.
    Unterhalb Gran tritt die Pußta wieder in ihre Rechte. Man muß zugeben, daß die Natur die größte Künstlerin ist! Sie bedient sich des Gesetzes der Gegensätze, und zwar im Großen, wie sie ja niemals kleinlich ist. Hier wollte sie, daß die Landschaft, die zwischen Preßburg und Gran so abwechslungsreich lebendig gewesen, ein trauriges, sorgenvolles, eintöniges Ansehen zur Schau trage.
    Hier hatte die »Dorothea« einen der Stromarme zu wählen, die die Insel St. Andreas einschließen; beide sind jedoch der Schiffahrt gleich günstig. Sie entschied sich für den linken Arm, was mir Gelegenheit gab, die Stadt Waitzen zu sehen, die durch ein halbes Dutzend Kirchtürme gekennzeichnet ist; eine Kirche erhebt sich am Ufer selbst und spiegelt sich, von dichtem Grün umrahmt, im klaren Wasser.
    Später kommt ein wenig Bewegung in die Gegend. In der Ebene machen sich zahlreiche Sumpfkulturen bemerkbar und auf dem Strome gleiten viele Fahrzeuge hin. Der Ruhe folgt das frische Leben. Man merkt, daß man sich der Hauptstadt nähert. Und welcher Hauptstadt! Sie ist ein Doppelgestirn und wenn auch ihre beiden Teile nicht Sterne erster Größe sind, so erstrahlt ihr Gesamtbild dennoch mit seltenem Glanz am ungarischen Firmament.
    Die »Dorothea« hatte eine letzte bewaldete Insel umschifft und jetzt liegt zunächst Buda vor unseren Blicken da, während Pest erst später auftaucht; in diesen beiden Städten, die unzertrennbar sind, wie die siamesischen Schwestern, wollte ich vom 3. bis 6. Mai bleiben; doch war es wohl kaum eine Ruhestation zu nennen; ich wollte die Stadt ja gründlich kennen lernen, was eher große Ermüdung als Erholung zur Folge haben durfte.
    Zwischen Buda und Pest, zwischen der türkischen und der magyarischen Stadt, gleiten fortwährend Flotillen kleiner Boote hin und her, kleine Galeoten, die längs der Ufer Handel treiben; sie sind mit einem Flaggenmast im vorderen Teile und einem mächtigen Steuerruder versehen, das sich durch eine außergewöhnlich lange Stange auszeichnet. Beide Ufer sind zu prächtigen Kais umgestaltet, deren lange Häuserreihen sich durch architektonische Schönheit auszeichnen und von zahlreichen Kirchturmspitzen überragt werden.
    Buda, die Türkenstadt, liegt am rechten, Pest am linken Ufer und die Donau mit ihren vielen lieblichen Inseln, die im reichsten Grün prangen, bildet gleichsam die Sehne des Bogens, den die ungarische Stadt beschreibt. Nach dieser Seite breitet sich die Ebene aus, so daß die Stadt zu ihrer Entwicklung genügend Spielraum hatte, während sich hinter Buda eine Reihe von Hügeln aufbauen, welche von der Zitadelle gekrönt werden.
    Aber die ehemalige Türkenstadt verwandelt sich langsam in eine ungarische, genauer gesagt, österreichische Stadt. Sie ist mehr militärisch veranlagt als handeltreibend und es fehlt ihr die Regsamkeit des
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