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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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betrachtet…. Aber – unterbrach sich zögernd der Sprecher – ich weiß nicht, ob ich mich nicht am Ende einer Indiskretion schuldig gemacht habe… indem ich das erwähnte….
    – Einer Indiskretion? fragte ich erstaunt.
    – Hat Ihnen Ihr Bruder niemals geschrieben, daß einige Monate vor seiner Ankunft in Ragz…
    – Vor seiner Ankunft? wiederholte ich.
    – Ja…. Fräulein Myra Roderich… Aber schließlich, mein lieber Vidal, ist es ja möglich, daß Ihr Bruder nichts davon erfahren hat!
    – Sprechen Sie deutlicher, lieber Freund; ich kann absolut nicht erkennen, worauf Sie hinzielen.
    – Nun wohl, es scheint – was übrigens kaum wundernehmen kann – daß dem Fräulein Roderich schon sehr gehuldigt worden ist, besonders von einer Persönlichkeit, die man durchaus nicht zu den ersten besten zählen kann. So sagte wenigstens der Offizier in der Botschaft, welcher noch vor fünf Wochen in Budapest war.
    – Und was ist’s mit diesem Rivalen?
    – Dr. Roderich hat ihm den Laufpaß gegeben.
    – Nun also, dann ist ja die Sache erledigt. Wenn übrigens Markus von der Existenz eines Rivalen gewußt hätte, würde er seiner in seinen Briefen gewiß Erwähnung getan haben. Er hat mir aber niemals auch nur die geringste Andeutung gemacht. Folglich ist der ganzen Angelegenheit keine Bedeutung zuzumessen.
    – Gewiß nicht, lieber Vidal; trotzdem scheint die Bewerbung dieser Persönlichkeit um die Hand des Fräulein Roderich in Ragz bemerkt worden zu sein und hat etwas mehr Aufsehen gemacht. deshalb meine ich, es ist besser, Sie seien darüber aufgeklärt.
    – Gewiß! Sie hatten sehr recht, mich darauf aufmerksam zu machen, nachdem es sich doch nicht um ein erfundenes Gerede handelt.
    – Nein; die Mitteilung ist sehr ernst zu nehmen.
    – Aber die Sache selbst ist es nicht mehr, erwiderte ich, und das ist die Hauptsache!
    Als ich Abschied nehmen wollte, fiel mir noch eine Frage ein:
    – Sagen Sie mir, lieber Freund, hat der ungarische Offizier Ihnen gegenüber den Namen des heimgesandten Rivalen erwähnt?
    – Ja.
    – Wie heißt er?
    – Wilhelm Storitz!
    – Wilhelm Storitz?… Der Sohn des Chemikers, vielmehr, des Alchimisten?
    – Derselbe.
    – Welch ein berühmter Name!… Derjenige eines Gelehrten, welchen seine Entdeckungen sehr bekannt gemacht haben!
    – Und auf den Deutschland sehr stolz ist, und mit vollstem Rechte, mein lieber Vidal.
    – Ist er nicht schon gestorben?
    – Ja, vor einigen Jahren, aber sein Sohn lebt und dieser Wilhelm Storitz scheint sogar – den Aussagen meines Gewährmannes nach – ein beunruhigender Mensch zu sein.
    – Beunruhigend?… Was meinen Sie mit diesem Epitheton, lieber Freund?
    – Ich weiß es selbst nicht genau… aber wenn ich dem Offizier der Gesandtschaft Glauben schenken darf, ist Wilhelm Storitz nicht wie alle Welt, nicht ganz normal veranlagt.
    – Donnerwetter! rief ich und lachte, jetzt beginnt die Sache aufregend zu werden! Ist vielleicht der abgewiesene Freier mit drei Beinen oder vier Armen ausgestattet oder verfügt er über einen sechsten Sinn?
    – Man hat mir nichts Genaues darüber mitgeteilt, sagte mein Freund, gleichfalls lachend. Trotzdem vermute ich, daß die Bemerkung mehr auf den seelischen als auf den körperlichen Wilhelm Storitz anzuwenden wäre! Und wenn ich recht verstanden habe, ist es angezeigt, sich vor ihm in acht zu nehmen….
    – Man wird sich in acht nehmen, lieber Freund, wenigstens bis zu dem Tage, an dem Fräulein Myra Roderich den Namen Frau Markus Vidal tragen wird.«
    Und ohne mich weiter über das eben Gehörte aufzuregen, drückte ich herzlich die Hand des Polizeileutnants und trat dann den Heimweg an, um die letzte Hand an meine Reisevorbereitungen zu legen.
II.
    Ich verließ Paris am 14. April um 7 Uhr morgens in einem mit Postpferden bespannten Reisewagen. In ungefähr zehn Tagen mußte ich die österreichische Hauptstadt erreichen.
    Diesen ersten Teil meiner Reise will ich nur kurz erwähnen, da er durch keinerlei bemerkenswerte Zwischenfälle gekennzeichnet ist; auch sind die Gegenden, die ich auf meiner Fahrt passierte, viel zu gut bekannt, als daß sie einer regelrechten Beschreibung bedürften.
    In Straßburg nahm ich meinen ersten längeren Aufenthalt. Als ich wieder zum Stadttore hinausfuhr, beugte ich mich noch einmal aus dem Wagenschlag. Die Turmspitze der Kathedrale, des berühmten Münsters, erschien mir wie in Sonnenstrahlen gebadet, die von Südosten einfielen.
    Mehrere Nächte verbrachte ich im Wagen,
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