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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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in Anspruch nehmen.
    Nachdem ich einige dringende Angelegenheiten in Ordnung gebracht und mir die von Markus verlangten Papiere verschafft hatte, machte ich alles zur Abreise fertig. Meine Vorbereitungen waren jedoch sehr einfacher Natur und forderten nur wenig Zeit, denn ich dachte nicht daran, mich mit unnützem Gepäck zu beschweren. Nur einen Koffer sehr bescheidener Größe nahm ich mit, in dem das Festgewand verpackt wurde, dessen ich zu dem feierlichen Ereignis bedurfte, das mich nach Ungarn rief.
    Das Idiom des unbekannten Landes bot mir keinen Grund zur Beunruhigung; seit einer Reise durch die nördlichen Provinzen Preußens war mir die deutsche Sprache geläufig; auch Ungarisch hoffte ich ohne große Schwierigkeiten bald verstehen zu können. Übrigens spricht man in Ungarn fließend Französisch, wenigstens in den höheren Gesellschaftsklassen, und mein Bruder war – aus eben diesem Grunde – niemals in Verlegenheit gekommen, nachdem er die österreichische Grenze passiert hatte.
    »Sie sind Franzose, Sie haben Bürgerrecht in Ungarn«, hat einstens ein Hospodar einem meiner Landsleute zugerufen und er brachte mit diesen wenigen herzlichen Worten die Gefühle des magyarischen Volkes den Franzosen gegenüber zum Ausdruck.
    Ich schrieb also Markus als Antwort auf seinen letzten Brief, daß ich ihn ersuche, Myra Roderich zu versichern, daß meine Ungeduld der ihren ebenbürtig, der künftige Schwager von dem lebhaftesten Verlangen erfüllt sei, die künftige Schwägerin kennen zu lernen. Ich fügte bei, daß ich binnen kurzem abreisen wolle, den Tag meiner Ankunft in Ragz aber unmöglich bestimmen könne, da dies von den Zufälligkeiten der Reise abhängig sei; aber ich gab meinem Bruder die Versicherung, daß ich mich unterwegs nicht unnötigerweise aufhalten wolle. Wenn es der Familie Roderich angenehm sei, könne sie, ohne länger zu zögern, die Hochzeit für die letzten Tage des Monats Mai festsetzen. »Ich bitte euch, mich nicht zu verdammen – schrieb ich zum Schlusse – wenn nicht jeder meiner Ruhepunkte durch einen Brief gekennzeichnet ist, der von meiner Anwesenheit daselbst Kunde gibt. Ich werde schon manchmal schreiben, damit Fräulein Myra imstande ist, die Anzahl der Meilen zu berechnen, die mich noch von ihrer Vaterstadt trennen. Auf jeden Fall werde ich zur rechten Zeit die genaue Stunde meiner Ankunft angeben, wenn möglich, selbst die Minute.«
    Am Vorabend meiner Abreise, dem 13. April, begab ich mich in das Amtszimmer des Polizeileutnants, mit dem ich in freundschaftlichen Beziehungen stand, um mich von ihm zu verabschieden und meinen Paß abzuholen. Als er mir denselben einhändigte, beauftragte er mich mit vielen Grüßen für meinen Bruder, welchen er aus meinen Gesprächen und auch persönlich kannte und dessen Absicht, ein eigenes Heim zu gründen, ihm zu Ohren gekommen war.
    »Ich weiß außerdem – fügte er bei – daß die Familie des Dr. Roderich, der Ihr Bruder angehören wird, eine der ehrenwertesten in Ragz ist.
    – Hat man mit Ihnen davon gesprochen? fragte ich.
    – Ja, erst gestern bei der Soiree in der österreichischen Botschaft, bei der ich auch anwesend war.
    – Und wer erteilte Ihnen die Auskunft?
    – Ein Offizier der Budapester Garnison, welcher mit Ihrem Bruder während seines Aufenthaltes in der ungarischen Hauptstadt Freundschaft geschlossen hat; er war seines Lobes voll. Ihr Bruder hatte glänzende Erfolge aufzuweisen und dieselbe Aufnahme, die ihm in Budapest zuteil geworden, hat er auch in Ragz wieder gefunden, was Sie übrigens kaum in Erstaunen setzen wird, mein lieber Vidal!
    – Und dieser Offizier – beharrte ich – hat auch nicht mit seinem Lobe gekargt in Bezug auf die Familie Roderich?
    – Gewiß nicht! Der Doktor ist ein Gelehrter in des Wortes wahrster Bedeutung. Sein Name ist allbekannt in den österreichischungarischen Landen. Alle möglichen Auszeichnungen sind ihm schon verliehen worden; kurz und gut: Ihr Bruder hat Glück gehabt bei seiner Wahl, denn es scheint außerdem, daß das Fräulein eine sehr schöne Erscheinung ist.
    – Dann werde ich Sie kaum in Erstaunen setzen, lieber Freund, wenn ich Sie versichere, daß auch Markus sie schön findet; er scheint mir überhaupt ganz ihrem Zauber erlegen.
    – Um so besser, mein lieber Vidal; Sie werden also die Güte haben, meine Glückwünsche Ihrem Bruder zu übermitteln, dessen Glück noch die höchste, raffinierteste Beigabe hat: es wird mit den Augen glühendster Eifersucht
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