Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Virgin River

Wiedersehen in Virgin River

Titel: Wiedersehen in Virgin River
Autoren: Robyn Carr
Vom Netzwerk:
umgehen. Jack war ritterlich und wusste in allen Situationen immer ganz genau, wie man eine Frau behandeln musste. Preacher hingegen fühlte sich in Gegenwart von Frauen unwohl, bis er sie näher kannte. Um genau zu sein, er war unerfahren, und obwohl es nicht seine Absicht war, jagte er Frauen und Kindern einfach schon aufgrund seiner äußeren Erscheinung häufig Angst ein. Allerdings wussten sie auch nicht, dass er hinter seiner manchmal grimmigen Miene bloß seine Schüchternheit verbarg.
    „Danke“, sagte sie noch einmal und legte das Kind auf die Kissen, wo es sich augenblicklich zusammenrollte und den Daumen in den Mund steckte. Lahm stand Preacher daneben und hielt die Decke bereit. Erst als sie sie ihm nicht abnahm, legte er sie über den Jungen und steckte sie um ihn herum fest. Dabei fiel ihm auf, dass er rote Wangen und hellrosa Lippen hatte.
    Bevor sie sich wieder setzte, sah sie sich um, und als sie über der Eingangstür den Hirschkopf entdeckte, schreckte sie zurück. Dann drehte sie sich einmal im Kreis herum und fand auch noch das Bärenfell an der Wand und den Stör über der Bar. „Ist das hier so etwas wie eine Jagdhütte?“, fragte sie.
    „Nicht direkt, aber es kommen viele Jäger und Angler hierher. Den Bären hat mein Partner in Notwehr erschossen, aber den Stör hat er mit Absicht gefangen. Das war einer der größten Störe in diesem Fluss. Den Hirsch habe ich erlegt, aber eigentlich gehe ich lieber angeln. Ich mag die Ruhe.“ Er zuckte die Schultern. „Ich bin der Koch hier. Wenn ich etwas töte, dann essen wir es.“
    „Ja, Rehe kann man essen“, stellte sie fest.
    „Und das haben wir auch getan. Letzten Winter hatten wir eine Menge Wildfleisch auf dem Tisch. Vielleicht sollten Sie etwas trinken“, sagte er und bemühte sich, seine Stimme sanft und nicht bedrohlich klingen zu lassen.
    „Ich muss einen Platz finden, wo wir bleiben können. Wo bin ich hier überhaupt?“
    „Virgin River. Das ist schon ziemlich abgelegen. Wie haben Sie uns gefunden?“
    „Ich …“, sie schüttelte den Kopf und lachte kurz. „Ich bin vom Highway runtergefahren, weil ich nach einem Ort mit Hotel suchte …“
    „Es ist aber schon eine Weile her, dass Sie den Highway verlassen haben.“
    „Hier gibt es nicht so viele Stellen, die breit genug sind, dass man wenden kann“, erklärte sie. „Dann sah ich dieses Lokal, Ihr Schild. Mein Sohn … ich glaube, er hat Fieber. Wir sollten nicht mehr weiterfahren.“
    Preacher wusste, dass in der Nähe kein Zimmer zu finden war, und sie war eine Frau, die in Schwierigkeiten steckte. Man musste kein Genie sein, um das zu erkennen. „Irgendwie werde ich Sie schon unterbringen“, versprach er. „Aber erst einmal – möchten Sie etwas trinken? Essen? Heute Abend habe ich eine gute Suppe da. Bohnen mit Speck. Und Brot. Das Brot habe ich heute frisch gebacken. Wenn es kalt und regnerisch ist, mache ich das gern. Wie wär’s mit einem Brandy, damit Sie erst einmal warm werden?“
    „Brandy?“
    „Oder was Sie sonst gern mögen …“
    „Das wäre gut. Suppe auch. Ich habe seit Stunden nichts mehr gegessen. Danke.“
    „Warten Sie.“
    Er ging zum Tresen, nahm ein Kognakglas und schenkte ihr einen Remy ein. An diesem Ort eine ziemlich ungewöhnliche Sache, denn für seine üblichen Gäste brauchte er nur selten einmal ein Kognakglas. Für das Mädchen aber wollte er etwas Besonderes tun, denn mit Sicherheit war sie vom Glück verlassen. Er brachte ihr den Weinbrand und ging dann nach hinten in die Küche.
    Die Suppe hatte er für die Nacht schon weggestellt, aber nun nahm er sie aus dem Kühlschrank, schöpfte eine Kelle voll heraus und stellte sie in die Mikrowelle. Während sie aufwärmte, brachte er ihr eine Serviette und Besteck. Als er wieder in die Küche zurückkam, war die Suppe fertig und er nahm das Brot heraus. Es war ihm besonders gut gelungen – weich, lecker und herzhaft. Er wärmte es ein paar Minuten in der Mikrowelle und legte es dann mit ein wenig Butter auf einen Teller. Als er aus der Küche trat, sah er, wie sie damit kämpfte, sich die Jacke auszuziehen, als wäre sie ganz steif oder hätte Schmerzen. Bei diesem Anblick blieb er kurz stehen und runzelte die Stirn. Über die Schulter warf sie ihm einen Blick zu, als hätte jemand sie dabei ertappt, wie sie etwas Böses tat.
    Preacher stellte das Essen vor sie hin, und in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie war vielleicht ein Meter siebenundsechzig groß und schlank.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher