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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
Autoren: dtv
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weiß, was er jetzt vorhat?«

E igentlich hatte ich keine Zweifel. Ich würde nicht nach Hannesford zurückkehren. Es wäre nicht schwer, einfach wegzubleiben; ein Sommer im Ausland, Weihnachten bei meiner Schwester, eine höfliche Lösung alter Verbindungen, die ja beinahe zufällig zustande gekommen waren. Ich wäre den Stansburys natürlich in der Stadt begegnet; die Welt war zu klein, um das zu vermeiden. Doch sie bewegten sich in sehr viel vornehmeren Kreisen als ich, unsere Wege würden sich nicht allzu oft kreuzen.
    In Frankreich hatte ich geglaubt, ich hätte alles hinter mir gelassen. Dass meine Erinnerungen an Hannesford von den Kanonen zu Staub zertrümmert worden wären. Doch als ich an diesem ersten Morgen in London ins blasse Sonnenlicht blinzelte, war nichts wie früher. Früher hatte ich keine Mühe gehabt, meine Tage in der Stadt auszufüllen. Jede Begegnung führte zu einer Einladung. Es gab Diners und Bälle, es gab das Theater, ich verbrachte jeden Abend in Gesellschaft. Diesmal aber waren es Zusammentreffen anderer Art. Wie freundlich, dass Sie mich besuchen kommen … Ein so schrecklicher Verlust … Schmerzlich vermisst von allen, die ihn kannten … In manchen Häusern traf ich niemanden an. Sie waren verschlossen, verlassen von Familien, die dem Leben in der Stadt für eine gewisse Zeit aus dem Weg gehen wollten.
    Nachdem ich also einen Morgen lang über die kalten, grauen Gehwege gegangen war, fühlte ich mich ernüchtert und ein bisschen einsam und wollte weg aus der Stadt. Außerdem besaß der Gedanke an Hannesford durchaus seinen Reiz. Gewiss, ich hatte mir geschworen, nie mehr dorthin zu fahren, doch alles, was mir vor dem Krieg zugestoßen war, erschien plötzlich seltsam verschwommen. Ich verspürteden starken Drang, wieder übers Moor zu laufen und meine Lungen mit der Luft von Devon zu füllen. Und ich hätte Gesellschaft in Hannesford – dazu Musik und Lärm und Betriebsamkeit. Gewiss würden mir einige Tage auf dem Land ganz guttun. Meine Zukunft konnte ich immer noch planen.
    Also tat ich, wozu mich die Briefe gedrängt hatten, und telegrafierte die entsprechenden Antworten. Am frühen Nachmittag begab ich mich erneut zur Paddington Station und nahm den nächsten Zug nach Hannesford. Zuerst machte mich die Vertrautheit nervös. Der Bahnhof schien unverändert, als wäre ich in die Zeit vor den Schützengräben zurückgekehrt. Dasselbe hohe Dach und die zischenden Lokomotiven, der gleiche aufreibende Kampf mit Paketen und Zugtüren, die gleichen unmissverständlichen Geräusche von Abfahrt und Abschied. Die Menge war unverändert, hochgestellte Krägen, in die Stirn gezogene Hüte. Beißende Kälte. Kaum jemand in Uniform.
    Doch als ich noch einmal hinschaute, bemerkte ich Unterschiede. Der Bahnhof sah doch größer aus? Und auch schäbiger. Die Gesichter … waren es noch dieselben? Waren sie härter oder schmaler oder trauriger als früher? Ich konnte es nicht sagen. Es war ein törichtes Spiel. Mit einem leichten Schauder machte ich mich auf die Suche nach Zigaretten.
    So etwas passierte mir recht häufig, eine Art wiederkehrender Schwindel, das flüchtige Gefühl, dass sich nichts verändert hatte. Doch diese Augenblicke waren nie von Dauer, irgendetwas brach stets den Bann. Diesmal war es der Streichholzverkäufer unter der Bahnhofsuhr, der sich, blass vor Kälte, auf Krücken stützte. Als ich mich näherte, richtete er sich auf und versuchte zu salutieren.
    »Seit einem Monat sieht man kaum noch Uniformen, Sir«, sagte er mit einem anerkennenden Blick. »Wir werden wieder zu einer Nation von Ladenbesitzern. Frankreich, nehme ich an, Sir?«
    Die vertraute Frage.
    »Die meiste Zeit. Und Sie?«
    »Ebenso, Sir. Aber nicht lange. Meine Batterie wurde in Loos getroffen.«
    »Das ist Pech.«
    Ein verlorenes Feuerzeug im Schlamm, eine zerbrochene Uhr, ein Bein, das am Knie abgerissen war. Pech, alter Junge, Pech. Die Welt war ins Chaos gestürzt, die Sprache aber irgendwie gleich geblieben, geprägt in einer Zeit, in der man von Pech sprach, wenn ein Ball nicht gefangen oder ein Aufschlag auf dem Tennisplatz schlecht platziert wurde. In einer Welt, in der die Streichholzverkäufer Jungen waren, die noch alle Gliedmaßen besaßen.
    »Es ist tatsächlich schwer, Sir«, fuhr der Mann fort und beantwortete eine Frage, die ich nicht gestellt hatte. »Aber ich kann jetzt ganz gut mit den Dingern umgehen, und wenn Feierabend ist, kommt meine Frau und hilft mir. Oder mein Sohn. Ein
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