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Wie es dem Glück beliebt

Wie es dem Glück beliebt

Titel: Wie es dem Glück beliebt
Autoren: Alissa Johnson
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verstärkte sie den Effekt noch, indem sie sich auch wie einer benahm. Sophie kannte sie jedoch zu lange und zu gut, um sich täuschen zu lassen. Hinter Mrs Summers’ strenger Haltung verbargen sich ein offener Geist und ein großzügiges Herz.
    Daher machte Sophie der Tadel ihrer Anstandsdame nichts aus, und sie erwiderte den finsteren Blick mit einem Lächeln. »Geräumig«, kommentierte sie, »und entschieden gut gepolstert.«
    Das braune Leder auf den Bänken erstreckte sich über alle vier Wände und sogar bis auf die Decke. Als sie hinabschaute, bemerkte sie, dass sogar der Boden dünn gepolstert war.
    »Wie merkwürdig.«
    Die Kutsche setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, und schon bald war Sophie zu verzaubert von dem Leben und Treiben auf den Straßen, durch die sie fuhren, um über das ungewöhnliche Innere der Droschke nachzusinnen. London war laut, schmutzig, überfüllt und absolut wunderbar.
    Sie hörte Mrs Summers sprechen, aber es dauerte ein Weilchen, bevor sie ihre Aufmerksamkeit lange genug vom Fenster abwenden konnte, um sie wirklich zu verstehen.
    »… wir haben jetzt den Hafendistrikt hinter uns, in den du, junge Dame, dich unter keinen Umständen wieder hineinwagen wirst. Gleich kommen wir – du musst nach links hinausschauen – am … nun, was … Warum um alles in der Welt biegen wir hier ab?«
    Mr Wang reckte leicht den Hals, um aus dem Fenster zu spähen. »Wo genau ist ›hier‹?«
    »Ich habe keine Ahnung«, erklärte Mrs Summers, die eher überrascht als erschrocken klang. »Der Kutscher hätte noch mehrere Blocks weit geradeaus fahren sollen. Was denkt er sich bloß dabei, eine Abkürzung durch solch ein schmutziges Viertel zu nehmen?«
    Mr Wang hob seinen Gehstock, um gegen das Dach zu klopfen. »Soll ich mit ihm sprechen?«
    »Damit er hier auch noch stehen bleibt? Himmel, nein. Wir werden es mit ihm austragen, wenn wir am Ziel sind.« Mrs Summers wandte sich wieder dem Fenster zu und rümpfte ihre lange Nase. »Hierhin darfst du auch nicht gehen, Sophie.«
    Sophie glaubte nicht, dass es ihr schwerfallen würde, sich daran zu halten. Das Viertel erinnerte sie an einige der ärmeren Teile von Peking. Zu viele baufällige Häuser, und vermutlich alle überfüllt mit zu vielen, hungrigen Menschen. Sie fühlte sich in solcher Umgebung hilflos und schämte sich ein wenig. Sie fuhren an einer kleinen Kirche vorbei. »Hat schon bessere Tage gesehen«, so hätte man sie wohl zutreffend beschrieben – wäre es nicht höchst zweifelhaft gewesen, dass sie jemals auch nur einen guten Tag gesehen hatte. Also war wohl »trostlos« die treffendere Beschreibung, überlegte Sophie. Vielleicht konnte sie der Kirchengemeinde etwas von dem Geld spenden, das eigentlich für ihre Einkäufe bestimmt war.
    Das laute Krachen von brechendem Holz, gefolgt von der unangenehmen Wahrnehmung, dass die Kutsche sich gefährlich zur Seite neigte, riss Sophie jäh aus ihren selbstlosen Gedanken. Voller Entsetzen sah sie, wie eine – gottlob nicht entzündete – Eisenlaterne gefährlich nah an der Ablage über Mrs Summers’ Kopf vorbeiglitt.
    Dann segelte Sophie mit ausgestreckten Armen – wie um sich festzuhalten – vom Sitz. Und das war das Letzte, woran sie sich erinnerte.
    Als Nächstes vernahm sie die Stimme eines Mannes, der sie bat, die Augen zu öffnen. Leise, sanft und nur eine Spur rau überflutete diese Stimme sie wie ein besänftigendes Schlaflied.
    Vielleicht würde sie noch ein Weilchen schlafen.
    Die besänftigende Stimme wurde prompt durch eine ärgerliche ersetzt. Mrs Summers verlangte, dass sie auf der Stelle aufwachte, und zwar in diesem speziellen Ton. Diesem grässlichen, beharrlichen Tonfall, den jedes Kind verabscheut, weil er bedeutet: Meine Geduld mit dir ist am Ende.
    Sophie würde wieder einschlafen. Auf jeden Fall.
    Eine Hand betastete ihre Schläfe.
    »Au!«
    Sophie riss die Augen auf, und sie wurde für diese Anstrengung prompt von Mr Wangs leisem Lachen belohnt, einem schmerzhaften Blick in helles Licht und der Erkenntnis, dass die Matratze, auf der sie lag, erstaunlich hart war. Stöhnend kniff sie die Augenlider wieder zusammen.
    »Ihr wird es gleich wieder besser gehen«, verkündete Mr Wang.
    Mrs Summers schnalzte mit der Zunge (eine Abfolge von Lauten, die Sophie in ihrem gegenwärtigen Zustand nur qualvoll fand) und sagte: »Fünf Quadratzentimeter in der ganzen Kutsche waren nicht gepolstert, aber dein Kopf musste sie natürlich finden.«
    Die Kutsche. London! Gegen die
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