Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber
Autoren: Der Kuss des Vampirs
Vom Netzwerk:
mit Königen und Königinnen be- freundet gewesen. Sie hatte Königsfamilien aufsteigen und fallen se- hen. Ihr gefiel deren Erhabenheit, und dass sie für den Augenblick leb- ten. Ihr gefielen die edlen Kostbarkeiten, die Juwelen, die hauchzarten Seidenstoffe und die Aufmerksamkeit, die den Reichen und Mächtigen zuteil wurde.
    Wenn sich die Brieftaschen ihrer Artgenossen öffneten, konnte man das brüchige Leder knacken hören. Sie hatte Spaß; ihre Artgenossen hatten ihre altbackenen, von Furcht und konservativem Denken ge- prägten Rituale. Sie wünschte sich ein erfülltes Dasein, ihre Artgenos- sen wollten nur überleben.
    Nun aber brauchte sie ihre Artgenossen, trotz ihrer altmodischen An- sichten. Ihr Plan war, die gegenwärtig stattfindenden Konklaven zu be-

suchen, sích dabei so charmant wie möglich zu geben und – hoffent- lich – einen Mann kennen zu lernen.
    Einmal, vor langer, langer Zeit, hatte sie ein Baby gehabt. Sie erin- nerte sich an den Augenblick der Empfängnis, als wäre es gestern ge- wesen. Frauen ihrer Art bereitete die Empfängnis die exquisitesten Wonnen, die sie zu empfinden imstande waren. In dem Moment, wenn das Spermium eines Mannes auf eine der vier Eizellen traf, reagierte der gesamte Organismus eines weiblichen Hüters mit einer unvergess- lichen Explosion nervenkitzelnden Entzückens. Selbst nach all den Jahren war ein Teil ihres Wesens noch immer auf diesen einen unsag- bar schönen Augenblick fixiert.
    Hüter-Frauen wussten immer, welches Geschlecht das Baby hatte, das sie in sich trugen, und sie und Eumenes hatten ihrem Sohn noch in der freudetrunkenen Nacht der Empfängnis einen Namen gegeben und sich augenblicklich in den Kleinen verliebt. Dann hatte die einjäh- rige Schwangerschaft begonnen ... und mit einem grausamen Verlust- schmerz geendet, als man ihr den blau angelaufenen Körper des toterstellt von ciando
    geborenen Kindes auf den Bauch gelegt hatte. Wenig später war auch ihr geliebter Mann gestorben. Praktisch nichts vermochte sie umzu- bringen – sie wurden niemals krank, konnten gar nicht krank werden. Aber er war immer schwächer geworden, war vor ihren Augen verfal- len, und niemand wusste warum. Ihre innige Liebe und die aufopfern- den Bemühungen hatten nicht gereicht, um Eumenes zu retten. Es war aussichtslos geworden, als er aufhörte, Nahrung zu sich zu nehmen. Er war schmal und kalt geworden – wie eine Mumie. Doch in seinen Augen hatte ein seltsamer Glanz gelegen ... als hätte der Tod eine be- sondere Bedeutung, als hätte der permanente Hunger ihn auf eine transzendente Bewusstseinsebene gehoben. Sie hatte ihn angefleht zu essen, hatte mit allen Tricks versucht, seinen Appetit zu wecken, und am Ende sogar probiert, ihm ihr eigenes Blut gewaltsam einzuflö- ßen.
    Hatte ihn die Trauer oder eine noch größere Verzweiflung in den Tod getrieben? Genau wie sie hatte auch er Achtung vor den Menschen empfunden und sich ebenfalls gefragt, ob es rechtens war, sich am Blut von Geschöpfen zu laben, die einen so hohen Entwicklungsstand erreicht hatten.
    War es böse, ein Hüter zu sein? War es Mord, Beute zu reißen, die ein Bewusstsein hatte? Sie glaubte, dass ihr Mann sich über diesen Ungewissheiten zu Tode gehungert hatte ... darüber und wegen des

toten Babys, das er ihr so behutsam auf den Bauch gelegt hatte. Die Welt mag ihre Toten vergessen, doch in den Herzen derer, die ihnen nahe standen, leben sie noch lange weiter. Miriam hatte ihren Eumenes noch viele Jahrhunderte lang geliebt. Aber irgendwann wa- ren ihre Erinnerungen verblasst, so wie das enkaustische Gemälde von ihm, das Eratoshsenes, das kauzige kleine Genie in Alexandria, für sie gemalt hatte.
    Das alte Alexandria ... geschwängert vom Myrrhe- und Kardamom- duft, nachts ein Meer aus flüsternden Stimmen, am Tag ein Ort fröhli- cher Gesänge. Sie erinnerte sich an Kleopatras prachtvollen Palast und an die Akademie mit ihrer exzellenten Bibliothek. Sie hatte alle 123 Stücke von Sophokles gelesen und dreißig von ihnen als Bühnen- aufführung erlebt. Wie viele hatten die Zeit überdauert? Sieben, dachte sie, bloß sieben.
    In all den Jahren war es ihr nicht gelungen, einen Mann ihrer Rasse zu finden, der Eumenes hätte ersetzen können. Dies lag unter ande- rem daran, dass Konklaven nur alle einhundert Jahre stattfanden und sie nur bei Konklaven auf Partnersuche gingen. Für jemanden, der für den Augenblick lebte, lag eine so langfristige Vorausplanung nicht nahe.
    Nun war sie am Ende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher