Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
White Horse

White Horse

Titel: White Horse
Autoren: Alex Adams
Vom Netzwerk:
immer, dass du gerade ein Date hast, und da will ich nicht stören.«
    Normalerweise steigt leiser Zorn in mir auf, wenn sie anruft, um
mich wieder mal zu verkuppeln. Aber heute …
    Ich wollte, meine Mom wäre hier. Weil dieses Gefäß nicht mir gehört.
    Jemand war in meiner Wohnung.
    ZEIT: JETZT
    Der menschliche Körper versetzt mich immer wieder in
Erstaunen. So produziert er laufend Säure, die ganz normale Speisen in einen
ekligen, ätzenden Brei umwandelt.
    Ich bin zurzeit ständig am Kotzen. Inzwischen habe ich darin eine
wahre Meisterschaft entwickelt. Ich beuge mich genau so weit vor, dass meine
Stiefel keinen Spritzer abbekommen. Wenn die Welt nicht am Ende wäre, könnte
ich in dieser Disziplin bei den Olympischen Spielen antreten. Sobald das
Frühstück hochzukommen droht, würge ich einen Apfel herunter. Das hilft.
    Â»Willst du fort?«, fragt Lisa. Sie nagt an ihrer Unterlippe, bis die
zarte Haut zu bluten anfängt.
    Â»Ich muss nach Brindisi.«
    Wir stehen im Hof des Anwesens, eingehüllt in diesen feuchten Nebel,
der sich nicht auflösen will. Üppiges Moos wächst in den Ritzen der fahlen
Steine, aus denen die Außenmauern errichtet sind. Mein Fahrrad lehnt an einer
längst nicht mehr benutzten Wasserpumpe. Irgendwann hatten die Besitzer des
Gehöfts genug Geld für Rohrleitungen und traten den Weg ins zwanzigste
Jahrhundert an. Aber die Pumpe ließen sie stehen, aus Nostalgie oder
Schlamperei. Das Fahrrad ist blau, und ich erwarb es erst unterwegs. Nicht für
Geld. Der Kaufpreis war ein einziger Kuss vor dem Aeroporto
Leonardo da Vinci di Fiumicino . Kein Zungenkuss übrigens. Einfach eine
flüchtige Geste der Zärtlichkeit von einem Norweger, der nicht ohne eine letzte
Umarmung sterben wollte.
    Â»Bitte, bleib«, sagt Lisa.
    Â»Ich kann nicht.« Berge von Bedauern türmen sich auf meiner Brust
und schnüren sie zusammen. Ich mag die Kleine. Wirklich. Sie ist ein liebes
Mädchen, das einst von schönen Dingen träumte. Nun kann sie im besten Falle
hoffen, dass sie überlebt. An mehr ist nicht zu denken, weder jetzt noch
irgendwann später.
    Â»Bitte. Es ist schön, wenn noch eine Frau hier ist. Besser.«
    Verzweiflung schwingt in ihrer Stimme mit. Mit einem Schlag begreife
ich. Sie will nicht, dass ich sie allein bei diesen Männern zurücklasse. Man
sollte annehmen, dass sie Familienangehörige beschützen, und in gewisser Weise
tun sie das auch. Aber die Blutsverwandtschaft ist nicht der einzige Grund
dafür. Mir wird plötzlich klar, dass sie das Mädchen als ihren Besitz
betrachten. Als eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben, bis die
Menschheit mit einem letzten Keuchen ihr Leben aushaucht. Ich hätte es früher
erkennen sollen, aber ich war so mit meinen eigenen Plänen beschäftigt, dass
ich nichts von den Geschehnissen in meiner Umgebung wahrnahm.
    Â»Das wusste ich nicht. Ich hätte es merken müssen, aber ich habe
nicht darauf geachtet.«
    Eine schwache Röte legt sich auf ihre helle Haut. Ich habe ihr
Geheimnis erraten. Obwohl sie mich nicht sehen kann, wende ich einen Moment den
Blick ab, um ihr die Gelegenheit zu geben, sich wieder zu fangen. Meine eigenen
Wangen brennen vor Scham.
    Die Stille dauert lange genug, dass sich der Nebel zu Regentropfen
verdichtet.
    Â»Du kannst ebenso wenig bleiben wie ich. Warum begleitest du mich
nicht?«
    Ich sollte meine voreiligen Worte bereuen, aber ich tue es nicht.
Wenn sie einwilligt, wird das meine Reise um weiß Gott wie viele Tage
verlängern. Zeit ist ein großer Luxus, wenn man nicht sehen kann, wie viel Sand
noch im Stundenglas ist. Aber Freundlichkeit und Güte sind selten geworden,
seit sich die Menschheit ihrem Ende entgegenschleppt. Ich muss mich an die paar
Dinge klammern, die noch meine Menschenwürde ausmachen.
    Â»Wirklich? Du würdest mich mitnehmen?«
    Â»Ich bestehe sogar darauf, dass du mitkommst.«
    Ihre Halswirbel knacken, als sie den Kopf dreht, in Richtung des
Wohnhauses.
    Â»Das erlauben die nicht. Die lassen mich nicht gehen.«
    Was haben die Kerle dir angetan, Kleines?, möchte ich fragen. Aber mein Entschluss steht ohnehin fest, ganz gleich, was
sie einwenden mag: Ich nehme sie mit.
    Â»Geh nach oben und pack das Nötigste zusammen. Sieh zu, dass du ein
paar warme und bequeme Sachen mitnimmst.«
    Â»Aber …« Ich kann sehen, dass sie immer noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher