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Whisper Island (01) - Sturmwarnung

Whisper Island (01) - Sturmwarnung

Titel: Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Autoren: Elizabeth George
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Mal sah.« Dann wurde sein Gesichtsausdruck weich. Er klopfte auf die Matratze neben sich. »Schön, dass du gekommen bist. Ich habe mich schon gefragt … Du weißt schon.«
    Becca wusste, dass er sie aufforderte, sich neben sie aufs Bett zu setzen, aber auf einmal wurde sie schüchtern. Also setzte sie sich stattdessen auf den Stuhl neben dem Bett. Er sieht toll aus, dachte sie. Genauso gut wie an dem Tag, als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte, mit seiner glatten, dunklen Haut und dem strahlenden Lächeln. Sie dachte krampfhaft darüber nach, was sie sagen könnte. Es gab so viel, was sie ihm eigentlich sagen sollte, aber nicht konnte. Auf dem Tisch sah sie einen Stapel Schulbücher und griff das als Anknüpfungspunkt auf. Sie nickte in Richtung der Bücher und sagte: »Wir haben das gleiche Problem«, und er bestätigte: »Ja, ziemlich blöd«, als wüsste er genau, was sie meinte. Es war seltsam, aber gleichzeitig auch ganz natürlich, dass sie sich mit so wenigen Worten verständigten. Am liebsten hätte sie nach seiner Hand gegriffen und sie gehalten, aber er lag schließlich nicht mehr im Koma, sondern sah sie mit seinen großen dunklen Augen erwartungsvoll an.
    Er begann: »Ich kann mich nicht an viel erinnern. Da war nur … Plötzlich kam dieser Hund aus dem Nichts auf mich zugesprungen. Da habe ich wohl das Gleichgewicht verloren. Ich glaube, ich habe ihn erschreckt, aber er mich auch, das kannst du mir glauben. Und als ich wieder aufwachte, beugte sich Dad über mein Bett und das war’s.«
    Daraus schloss Becca, dass sich Derric nicht daran erinnerte, das Bewusstsein zurückerlangt zu haben, während sie neben ihm saß. Das machte sie sehr traurig, ohne dass sie genau wusste, warum. Sie sagte ruhig: »Derric, ich glaube, Freude hat dich zurückgeholt.«
    Seine dunklen Augen schienen sich noch mehr zu verfinstern. »Was?«, fragte er vorsichtig, und sie erzählte ihm, dass sie die Briefe gefunden, sie ins Krankenhaus gebracht und ihm einen vorgelesen hatte. Sie sah sich um und entdeckte das Foto, das sie an dem Tag in der Hand gehalten hatte. Sie nahm es auf und fragte: »Freude ist eins von den kleinen Kindern, nicht wahr?«
    Er sagte nichts. Beccas Blick wanderte vom Foto zu ihm und sie sah, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Sie flüsterte: »Oh nein. Ist sie gestorben? Hast du deshalb die Briefe versteckt?«
    Er schüttelte den Kopf. Nein, nein, nein. Die Tränen rollten ihm die Wangen herunter. Er wandte sich von ihr ab und sie sah, wie er gegen die Tränen ankämpfte, aber das machte es nur noch schlimmer. Becca befürchtete, dass er einen Rückfall erleiden und wieder an den Ort zurückgehen könnte, an dem er während seines Komas war, deshalb nahm sie seine Hand und sagte: »Sag mir, was mit ihr passiert ist. Ich bin deine Freundin. Jetzt und für alle Zeit. Derric, du musst es mir erzählen.«
    Sie dachte an die furchtbaren Dinge, die Menschen in Afrika widerfahren konnten, als Folge von politischen Aufständen, Bürgerkriegen, Völkermord, Hungersnot und Krankheiten.
    »Bitte sag es mir«, wiederholte sie.
    »Ich habe sie im Stich gelassen«, sagte er.
    »Was? Wen?«
    »Ich habe ihnen nicht gesagt, dass sie meine Schwester ist.« Die Tränen liefen ihm weiter die Wangen herunter, während er sich Becca wieder zuwandte. »Und selbst als ich die Möglichkeit hatte, adoptiert zu werden, habe ich immer noch nichts gesagt. Also haben sie es nicht mal gewusst.«
    »Die Mathiesons?«
    »Alle«, sagte er. »Sie war drei und ich acht, und ich habe nie ein Wort gesagt. Da waren so viele Kinder, und Jungen und Mädchen schliefen in verschiedenen Gebäuden. Meine Mom kam mit ihrer Kirchengruppe dorthin und wollte mich mitnehmen, und die einzige Möglichkeit …« Seine Finger formten eine Faust. »Also habe ich nichts gesagt und ihr nichts von Freude erzählt, und als sie mit meinem Dad wiederkam und sie mich fragten: ›Willst du unser Sohn sein, Derric?‹, haben sie nichts von einer Tochter gesagt, und da habe ich auch nichts gesagt. Ich hatte solche Angst, dass sie es sich anders überlegen.« Voller Trauer wandte er sich ab.
    Nun verstand Becca, wie alles gekommen war. Dieses Geheimnis war die Ursache für den Kummer und die Traurigkeit, die sie stets bei ihm gespürt hatte. Nun verstand sie auch, warum seine Seele immer und immer wieder Freude ausgerufen hatte. Sie setzte sich auf den Bettrand. »Ist schon gut«, sagte sie.
    »Nichts ist gut«, widersprach er. »Ich dachte, wenn ich ihr
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