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When the Music's Over

When the Music's Over

Titel: When the Music's Over
Autoren: Myra Çakan
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im Leben. Das Licht ihrer Sturmlampe spiegelte sich in den Altöllachen wie in den toten Augen eines Fisches. Öl und tote Fische mit Geschwüren und verkrüppelten Kiemen, das kannten sie in Longyearbyen.
    Die Flut stieg, saugte an ihren Stiefeln, wollte sie mit der gleichen Nachlässigkeit verschlingen wie damals, als sie die Plattformen vor Spitzbergen begrub und mit ihr viele ihrer Freunde. Doch damals hatte die Flut einen Verbündeten gehabt – Sprengstoff. Es waren Öko-Terroristen, so lautete die offizielle Erklärung der Gesellschaft. Damals hatte Skadi ihnen geglaubt, doch damals lebten ihre Eltern auch noch.
    Heute war sie nur eine Durchreisende, ihr Ziel war die Stadt. Sie hatte noch nie eine richtige Stadt gesehen, nur eine Ansammlung von Containern und Wellblechbaracken, wie sie sie von daheim kannte. Auf einer der Inseln hatte es früher eine richtige Mega-City gegeben. London. Doch London zählte nicht mehr. Vor dem großen Brand, der die Aufstände beendete, der alles beendete, ja, da wäre London der richtige Ort zum Feiern gewesen. Jetzt war die Stadt ein einziges Ruinenfeld, der Welt größter Horror-Themenpark.
    Sie fand die Stufen, abgesplitterte Fragmente, wie die Zähne eines alten Polarbären, die Letzten ihrer Art, rostig und lückenhaft. Vorsichtig ertastete sie sich den Weg nach oben. Holzbohlen, morsch und verschimmelt, nur von einer Eisschicht zusammengehalten, wie es ihr schien. Einer dünnen Eisschicht und rostigen Schienen, die sich wie Vorläufer der Großen Welle in die Dunkelheit schlängelten.
    Langsam drang sie in den Tunnel ein. Das Licht ihrer Sturmlampe flackerte über die Wände, streifte seltsame Bilder und Symbole. Sie erkannte einzelne Wörter, die seltsame Sätze ergaben, wenn man sie laut aussprach: »Tot der Cid« und »Tot den Poliks« und »Tot den Virfings«.
    Der Geruch eines offenen Feuers, gedämpfte Stimmen, Lachen und laute Flüche in einer fremden Sprache. Sie schob sich die Schneebrille aus dem Gesicht, dämpfte den Lichtschein der Sturmlampe und lief auf die Laute zu – wohin hätte sie auch sonst gehen können?
    Plötzlich verstummten die Stimmen, sie hatten sie gehört. Sie drehte das Licht ganz aus und lauschte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit. Nichts, nur das Rauschen ihres Blutes in den Ohren. Auf weichen Schneestiefeln schlich sie auf den Feuerschein zu.
    »Chi ist da?«
    »Shut up, stupido!«
    »Het brok dich niet verstecken.«
    Die Stimme schlug jetzt eine andere Tonart an. Hatten sie gemerkt, dass sie allein war? Was soll’s – sie waren so oder so in der Überzahl, warum also wegrennen. Skadi drehte die Sturmlampe wieder hoch und ging forsch auf die Stimmen zu.
    Sie waren wohl die merkwürdigste Gruppe, die sie jemals um ein Feuer hatte sitzen sehen. Höflich richtete sie zuerst den Lichtschein auf ihr Gesicht und stellte sich vor: »Skadi Gunnarsdottir.«
    »’ne ’skimo-Tussi.«
    Ein hohes Kichern drang aus einem Berg Kleider. Ein Mutant, war ihr erster Gedanke, dann sah sie, dass die Person nur durch die vielen bunten Decken so unförmig wirkte. Das Gesicht schien von einer Maske verdeckt zu sein. Eine Hand zuckte vor und klatschte auf den Hinterkopf des Sprechers.
    »Vorlauter Bengel.« Eine uralte Frau, auf dem schrumpeligen Mumienkopf einen grellbunten Hut, sah sie lauernd an. »Is l’aqua schon da?«
    »Laka?«, wiederholte sie verständnislos. Sie hatte das dumme Gefühl in eine Gruppe Irrer geraten zu sein.
    »Sie will wissen, ob das Wasser schon da ist«, übersetzte der, der sie Eskimotussi genannt hatte. »Die Flut«, erläuterte er mit aufreizend deutlicher Aussprache, als sie ihn nur stumm anguckte.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »La Siñorina spreken niet Eurisch?«
    Skadi schüttelte wieder den Kopf. Vielleicht waren sie doch nicht verrückt. Schließlich war sie hier die Fremde.
    Daheim, sie meinte die bemoosten Felsen, die sie Zuhause nannte, hatten sie sie vor den Europäern gewarnt. »Kannst mir glauben, Skadi, die haben von all dem Alien-Zeugs, das sie sich ständig reinpfeifen, völlig aufgeweichte Hirne.« Sie musste Palle ziemlich perplex angeguckt haben, denn er setzte noch einen drauf: »Sind völlig eingeschrumpft, wie Jakobsmuscheln, brr!« Palle war ’n halber Europäer, also wusste er, wovon er sprach. Allerdings hatte sie den Verdacht, dass er ihr einiges verschwiegen hatte. Eurisch, das musste so eine Mischsprache sein wie ihr Icespeak.
    »Wer seid ihr?« Die Neugierde hatte über die Höflichkeit
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