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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht
Autoren: Mirjam Pressler
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gewöhnt und sofort zur Stelle. Neben ihm her lief seine Frau Friedel, sie wünschte der Frau, die Geburt möge unter einem guten Stern verlaufen, und half ihr in Ottos Mercedes, der, wie erwartet, sofort ansprang. Später würde er mich immer wieder in die Wange kneifen und sagen, du warst mein dringendster Einsatz, Anne, darauf kannst du dir was einbilden.
    Wie dringend der Einsatz tatsächlich gewesen war, stellte sich erst heraus, als die Frau im Krankenhaus angekommen war und die Hebamme sie an einen Wehenschreiber angeschlossen hatte. Sofort wurden Vorbereitungen für einen Notkaiserschnitt getroffen, denn ich hatte die Nabelschnur um den Hals und meine Herztöne setzten bereits aus. Zehn Minuten später, sagte der Arzt, wäre es möglicherweise zu spät gewesen. Es kann also sein, dass ich es wirklich Otto Stegmüller zu verdanken habe, dass ich lebendig auf die Welt gekommen bin, Otto Stegmüller und dem guten Stern oder Omis Gebeten oder auch dem Schutzengel, der vielleicht doch noch rechtzeitig eingetroffen war. Auch wenn ich leider nicht der ersehnte Junge war, aber das hatten sie schon vor meiner Geburt gewusst.
    Der Frau, die jahrelang unsere Mutter war, bevor sie nur zu meiner Mutter wurde, wäre es anders vielleicht ganz recht gewesen, sie hatte schon das erste Kind nicht gewollt, geschweige denn mich, das zweite. Es war ihr einfach passiert, weil sie wegen ihrer Neigung zu Krampfadern die Pille nicht nehmen durfte, das war zu gefährlich, und wenn man sich auf die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage verlässt, ist man verratzt, merkt euch das. Sie war einfach keine Frau, die Kinder wollte. Oft genug hat sie zu uns gesagt, Kinder sind eine Last, und die Schmerzen bei der Geburt, das kann sich niemand vorstellen, der es nicht mitgemacht hat. Die Natur habe es nicht umsonst so eingerichtet, dass nicht die Männer Kinder kriegen, sondern die Frauen, nur die seien dumm genug dazu.
    Nun, immerhin sind ihr bei meiner Geburt diese Schmerzen erspart geblieben, zumindest weitgehend.
    Jesus, Maria, ein Kind mit einer Nabelschnur um den Hals, das ist kein gutes Zeichen, sagte ihre Mutter, als sie nachmittags kam, früher hat man gesagt, solche Kinder haben schon von Anfang an kein Glück, und dann schlug sie schnell ein Kreuz, als könnte sie damit ihre Worte ungesagt machen.
    Die andere Tochter, die ihren Status als »die Kleine« an mich verloren hatte und von nun an nur noch Marie oder bestenfalls Mariechen hieß, hatte sie zu Hause gelassen, in der Obhut von Friedel Stegmüller, Ottos Frau. Diese sagte, als sie mich auf der Frühchenstation sah, wo ich die ersten Tage wegen einer Herzrhythmusstörung lag, ach Gott, ist das Würmchen winzig und dünn, die hat ja Arme und Beine wie Streichhölzer. So hat sie es mir später jedenfalls erzählt, ein Würmchen warst du, mit Armen und Beinen wie Streichhölzer.
    Was meine Großmutter und mein Großvater aus dem Bayerischen Wald sagten, als sie am Tag darauf mit Schinken und Speck, mit getrockneten Pilzen und selbstgekochter Marmelade zu Besuch kamen, weiß ich nicht, die Bodenmais-Oma hat vermutlich gesagt, ich werde für das arme Dingelchen beten, und der Bodenmais-Opa hat wohl geschwiegen, wie er immer geschwiegen hat. Erst später, nach ihrem Tod, hat er angefangen, ständig vor sich hin zu murmeln. Bei einem unserer Besuche bei ihnen hatte ich das Gefühl, er würde mit seiner toten Frau sprechen, aber Tante Lisbeth, Onkel Karls Frau, hatte nur geseufzt und gesagt, er wird langsam wirr im Kopf, es ist ein Kreuz mit ihm.
    Da war ich nun also auf die Welt gekommen, auch wenn ich auf der Frühchenstation lag und nicht im Körbchen neben ihrem Bett. Aber das wird sie nicht gestört haben, sie war erschöpft, sie hatte eine Operation hinter sich und war bestimmt froh, dass sie in Ruhe schlafen konnte, ohne sich um einen kleinen Schreihals kümmern zu müssen. Und vermutlich war sie erleichtert, dass sie vor ihrem Mann und ihrer Mutter den Kaiserschnitt als Ausrede für ihre Entscheidung benutzen konnte, das Kind nicht zu stillen, schließlich wollte sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, eine Rabenmutter zu sein. Ich bin fix und fertig von der Operation, wird sie gesagt haben, da will ich mir nicht auch noch das Stillen antun.
    Den Schwestern und Ärzten gegenüber hatte sie, obwohl diese gar nicht versuchten, sie umzustimmen, vielleicht behauptet, beim ersten Kind eine extrem schmerzhafte Brustentzündung gehabt zu haben, das wolle sie auf keinen Fall noch mal
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