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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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seltsame Leuchten seiner Augen, und unter der offenen schwarzen Jacke sah sie den Aufdruck seines T-Shirts:

KILL DIE ANDEREN.
    Das konnte sie nicht vergessen. Und so war sie eine von mehreren, die später gegenüber der Polizei bezeugen konnten, diesen Mann genau an dem Tag genau an der Stelle gesehen zu haben.
    Die anderen waren immer hinter ihm her. Nicht nur hinter seinem verwüsteten Leib, in dem die Organe wild durcheinander lagen, seinem steinharten Herzen, das hinter seinem Knochengitter zitterte. Sie wollten in ihn hinein. Wollten mit einer grellen Lampe in seine geheime Kammer eindringen. Sie packten ihre bösen Absichten in schöne Worte, sie faselten vom Segen der Wirklichkeit, von einer spannenden, herausfordernden Gemeinschaft. Es war unerträglich.
    Wo er das alles doch gar nicht wollte!
    Verwirrt schüttelte er den Kopf. Seine Gedanken waren unkontrolliert weitergewandert und störten nun. Er taumelte wieder in die Kammer und ließ sich auf die verdreckte Matratze sinken. Er war glücklich darüber, daß er aus der Anstalt, die ihn zu ersticken drohte, geflohen war, daß er das verlassene Haus gefunden hatte. Er drehte sich auf die Seite, zog die Knie an, schob die Hände zwischen die Oberschenkel und preßte die Wange an die angeschimmelte Matratze. Er starrte tief in sich hinein, in den düsteren, staubigen Keller, in den durch ein schmales Loch in der Decke ein trüber Lichtstrahl fiel. Der einen kreisrunden Fleck auf den Steinboden malte. Und dort saß Nestor. Neben ihm lag ein zerlumpter Mantel. Der Mantel sah ziemlich unschuldig aus, wie von jemandem vergessen, aber er wußte es besser. Lange blieb er still liegen und wartete, und dann schlief er wieder ein. Die Wunde mußte in Ruhe heilen. Während sie heilte, träumte er. Nach der Strafe kam immer Trost, und den nahm er entgegen. Das gehörte zu ihrer Abmachung. Es war drei Minuten nach sechs, am Morgen des 4. Juli, und langsam zog eine gewaltige Hitze herauf.

DAS HAUS WAR EINE ÜBERRASCHUNG, es versteckte sich im Dickicht. Eine alte Kate, seit Jahrzehnten unbewohnt. Erstaunlich gut erhalten, obwohl Landstreicher längst nahezu alle Einrichtungsgegenstände ramponiert hatten. Nicht wenige hatten sich im Laufe der Jahre vorübergehend hier niedergelassen, den heruntergekommenen Räumen ihre Prägung aufgedrückt oder leere Flaschen hinterlassen.
    Er blieb eine Weile zwischen den Bäumen stehen und starrte. Es war ein Holzhaus mit einem mit üppigem Gras bewachsenen Vorhof. Vorsichtig streckte er die Hand nach der schweren Tür aus und schob sie auf. Wartete einen Moment und schnupperte. Im Haus fand er Küche, Wohnzimmer und zwei Kammern, und in einem Etagenbett lag eine alte Matratze mit gestreiftem Bezug. Er schlich sich von Zimmer zu Zimmer und schaute sich um. Nahm den Geruch des alten Holzes in sich auf. In diesem Haus war Errki seinen Ahnen näher, als er ahnte. Es war eine alte Almhütte, errichtet auf der Rodung eines der vielen finnischen Siedlerplätze des 17. Jahrhunderts. Während er durch das Haus ging, belauschte er aufmerksam die stummen Wände. In diesem Haus schien sich irgend etwas zugetragen zu haben. In den Wänden hing arge Wut. An mehreren der dicken Baumstämme ragten Splitter aus riesigen Wunden, jemand schien mit einer Axt auf sie losgegangen zu sein. Kein Fenster war unversehrt, in den geborstenen Rahmen saßen nur noch vereinzelte Glasscherben. Er dachte kurz nach. Mit dem Auto konnte man unmöglich herkommen, und seines Wissens hatte niemand ihn gesehen, als er vom Weg abgebogen und den Hang heraufgeklettert war. Er hatte keine Uhr, aber er wußte, daß genau eine halbe Stunde vergangen war, seit er die Landstraße verlassen hatte. Daß er nichts zu essen und keine anderen Kleider hatte, machte ihm keine Sorgen. Aber er hatte Durst. Er bewegte die Kiefer, um ein wenig Speichel zu produzieren. Kaute am Ende auf seiner eigenen Zunge herum.
    Schließlich ging er in den Raum, der früher die Küche gewesen war, und öffnete aufs Geratewohl einige Schubladen. Die Griffe waren verschwunden, er mußte seine langen Fingernägel wie Hebel benutzen. Er fand eine Gabel mit abgebrochenen Zinken und eine Packung Stearinkerzen. Krümel und Spinngewebe. Kronkorken. Eine leere Streichholzschachtel. Vor dem eingeschlagenen Fenster hingen die Reste einer Tüllgardine; als er sie berührte, zerfielen sie zwischen seinen Fingern zu Staub. Er ging zurück ins Wohnzimmer. Von dort schaute ein Fenster auf den Hof, das an der Wand
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