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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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seine Beine gefügig zu machen und seine Gedanken in akzeptablen Reihen aufzustellen. Im Flur von Haus Wegweiser, im Bus, in der Bahn, auf der Landstraße.
    Wenn er nicht in Bewegung war, lag er still da und ruhte sich aus.
    Seine Haare waren lang und schwarz und strähnig, sie hingen vor seinem Gesicht wie schmutzige Fransen. Seine Haut war von Aknenarben zerfurcht. Mit dreizehn hatte er die ersten Pickel gehabt, sie waren angeschwollen wie kleine Vulkane. Er hatte aufgehört, sich zu waschen. Wenn er sie mit Wasser und Seife behandelte, leuchteten die Pickel noch viel wütender auf. Bedeckten aber alte Staub- und Fettschichten die Haut, fielen sie weniger auf. Sein Gesicht unter den struppigen Haaren war lang und schmal, mit scharfen Wangenknochen und dünnen schwarzen Augenbrauen. Die Augen lagen tief und schienen sich abseits halten, ausweichen zu wollen. Wenn jemand aber ihren Blick festhalten konnte, dann strahlten sie mit blassem Glanz. Er schaute seine Gesprächspartner schräg von unten her an. Seine langen Haare und die vielen Kleidungsstücke sorgten dafür, daß er auch im sonnigen Sommer ganz weiße Haut hatte. Die Hose hing auf seinen Hüften und wurde von einem Ledergürtel gehalten. Die Gürtelschnalle zeigte einen Messingadler mit ausgebreiteten Flügeln und krummem Schnabel. Der Adler hatte kleine emaillierte Augen, die eine unsichtbare Beute anstarrten, vielleicht Errkis bescheidenes Geschlechtsorgan unten in der verdreckten Hose. Es war wenig entwickelt für einen Mann seines Alters und hatte noch nie den Weg in eine Frau gefunden. Das wußte aber niemand, und er selbst hatte dieses schmerzliche Wissen verdrängt und dachte lieber an andere, wichtigere Dinge. Außerdem war der Adler wirklich beeindruckend, wie er im Rhythmus von Errkis Hüftschwung auf und ab schwebte. Vielleicht machte er andere glauben, das Gerät unter ihm könne durchaus als Raubtier durchgehen.
    Es war still und heiß auf den Wegen. Gelbe Felder rechts und links, so weit das Auge reichte. In der Ferne sah er eine junge Frau mit einem Kinderwagen. Sie hatte seine schwarze, watschelnde Gestalt schon entdeckt und wußte, daß sie an ihm vorbei mußte. Nirgendwo bog ein Seitenweg ab. Er sah seltsam aus, und als er näher kam, spürte sie, wie ihr Körper sich verspannte. Sofort wurde ihr Gang steif. Die Gestalt wackelte und schob sich vorwärts, dieses Wesen wirkte verängstigt und aggressiv zugleich, und die Frau dachte, sie dürfe ihm nicht in die Augen schauen, müsse so schnell wie möglich weitergehen. Am besten mit gleichgültiger, überlegener Miene. Auf keinen Fall durfte sie ihre Angst zeigen; sie stellte sich vor, daß er diese Angst wie ein unerzogener Hund wittern und sie dann angreifen würde.
    Die junge Frau war so licht und schön, wie Errki schwarz und häßlich war. Selbst durch seinen dunklen Schleier sah er sie wie ein scharfes Licht auf sich zukommen. Krampfhaft hielt sie den Kinderwagen fest. Sie schob ihn gereizt vor sich her wie einen Schild, so als sei sie bereit, den Inhalt des Wagens zu opfern, wenn sie dadurch ihre eigene Haut retten könnte. Dachte Errki. Er war in Gedanken versunken gewesen und hatte die trippelnde Gestalt am Rand seines Blickfeldes eben erst bemerkt. Diese Gestalt sah belanglos aus, wie flatterndes weißes Papier. Er blickte nicht auf. Er hatte die Umrisse und die Bewegungen längst registriert. Unter allem, was es in Errkis Vorstellungswelt gab, war eine junge Frau mit einem Kinderwagen so ungefähr das Jämmerlichste. Er konnte einfach nicht fassen, daß solche Frauen diesen dämlichen Ausdruck von Seligkeit mit sich herumtrugen, bloß weil sie ein Kind aus sich herausgequetscht hatten. Trotz der jammernden Milliarden, die auf der Erde hausten, veränderte sich das gesamte Weltbild dieser Frauen, es war einfach unbegreiflich. Er schaute trotzdem kurz zu ihr hinüber und stellte sich die folgende Frage: Böse Absichten oder keine? Gute kannte er nicht. Außerdem ließ er sich von niemandem an der Nase herumführen. Dem äußerlichen, oberflächlichen Eindruck nach waren seine Feinde nicht zu erkennen. Unter der Babydecke konnte sich durchaus ein Dolch verbergen. Er sah einen Gegenstand mit gespaltener Spitze und gezackter Kante vor sich. Man wußte nie.
    Sie kamen aneinander vorbei. In dem Moment hörte Errki das dünne Klirren von Glas. Die junge Frau schloß die Hände noch fester um den Griff des Kinderwagens. Für eine Sekunde schaute sie hoch. Zu ihrem Entsetzen sah sie das
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