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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
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selbst.
    »Meine Mutter würde der Schlag treffen, wenn ich so rumlaufen würde wie du«, sagte ich schließlich und da setzte sich Sharoni neben mich.
    »Da sitzt eigentlich Mirjam«, sagte ich überrumpelt.
    »Da saß Mirjam, meinst du wohl?«, antwortete Sharoni und wurde meine beste Freundin.
    »Hannah, du sollst nach Esther sehen, sagt Ima«, erinnerte mich David und ließ sich auf mein Bett fallen.
    David ist groß und sieht unverdient sportlich aus. Seit er die Thora studiert, hat er kaum noch Zeit für Sport, was früher seine Lieblingsbeschäftigung war. Unter seinem Nike-Shirt schauten seine gebräunten Arme, sein Bizeps und sein tzitzit hervor, eine Art Quasten, die an den vier Zipfeln eines Kleidungsstücks getragen werden und an die Erfüllung der religiösen Pflichten erinnern sollen.
    »Warum gehst du eigentlich nicht, Dave?«, fragte ich ungeduldig und wedelte mit dem Hörer.
    David grinste. »Weil Esther nicht nach mir, sondern nach dir fragt …«
    »Hat sie …?«
    Ich beendete den Satz nicht, weil David auch so verstand, was ich meinte.
    »Jepp«, sagte er sofort. »Und nicht zu knapp, wenn du mich fragst. Ima hat schon alles versucht, sie in die Gänge zu bekommen, aber sie hat mal wieder ausdrücklich nach dir verlangt.«
    »Shar, ich muss in den Garten«, sagte ich seufzend ins Telefon. »Esther. Du weißt schon …«
    Leises Glöckchengebimmel aus Sharonis Haaren am anderen Ende der Telefonleitung untermalte ihren Abschiedssatz.
    »Ich komme vorbei und helfe dir, okay? Arme, alte, traurige Esther«, sagte sie seufzend.
    »Esther?«
    »Verschwindet! Lasst mich in Frieden …«
    »Ich bin es nur, Hannah.«
    »Ach, du, mein Augenstern. Komm her.«
    Ich hörte ein Auto in unsere Einfahrt einbiegen, ein lautes Auto mit einem eigenartig klappernden und röhrenden Motorengeräusch. Das musste Shar sein. Sie hatte sich einen Morris zugelegt, dieses Ungetüm von einem alten schwarzen Lieferwagen, obwohl ihre Eltern darüber entsetzt waren.
    »Das ist Sharoni«, sagte ich leise. »Darf sie auch …? Oder stört sie dich?«
    »Sharoni? Dieser bunte Paradiesvogel …« Esthers Stimme klang undeutlich und verschwommen, wie immer, wenn sie getrunken hatte. »Ja, sie darf. Natürlich darf sie. Sie ist ein gutes Mädchen. Sanfte Augen. Annegret hatte auch sanfte Augen. Unvorstellbar. Wer hätte das gedacht …«
    Annegret, die Unbekannte. Häufig, wenn Esther getrunken hatte, fiel ihr dieser Name ein.
    »Wer soll diese Annegret sein, von der sie immer faselt, wenn sie so durch den Wind ist?«, hatte mein Vater einmal meine Mutter gefragt.
    »Eine Fantasiegestalt, weiter nichts«, sagte meine Mutter achselzuckend und entwand Esther die Wermutflasche.
    »Annegret klingt deutsch«, murmelte mein Vater, nahm meiner Mutter die Flasche ab und leerte sie in der Küchenspüle aus.
    »Na und? Sie hat schließlich bis nach dem Krieg in Deutschland gelebt. Vielleicht ist Annegret eine Freundin von ihr gewesen. Wer weiß. Sie spricht ja nicht mehr von damals.«
    »Hi Hannah, hi Mrs Mandelbaum!« Sharoni kam lächelnd auf uns zu, ein paar ihrer dünn geflochtenen bunten Zöpfe klimperten freundlich.
    »Esther. Nicht Mrs Mandelbaum, mein Schäfchen«, sagte Esther in diesem Moment zu Shar und seufzte müde. Dann klopfte sie neben sich auf das vertrocknete Gras und deutete uns, Platz zu nehmen.
    »Ima sagt, du sollst ins Haus kommen«, versuchte ich es behutsam.
    »Deine Mutter meint es gut mit mir, aber sie soll sich gefälligst um ihren eigenen Kram scheren«, murmelte Esther ärgerlich.
    »So was von gelenkig«, sagte Sharoni beeindruckt und hockte sich neben sie. »Achtundachtzig und Sie sitzen einfach so im Gras. Respekt! Meine Großmutter in Boston lebt in einem Altenheim und kann nur noch im Rollstuhl gefahren werden. Und sie wird diesen Herbst erst fünfundachtzig.«
    Esther lächelte wie aus weiter Ferne und trank einen Schluck Sherry aus einem ihrer feinen Sherrygläser, das sie mit in den Garten gebracht hatte. Die Sherryflasche verstaute sie anschließend wieder ordentlich in einer braunen Papiertüte und verbarg sie dann in ihrer alten schwarzen, perlenbesetzten Tasche, die sie fast immer bei sich trug.
    »Fühle mich nicht wie achtundachtzig, meine Schäfchen«, sagte sie nachdenklich. »Fühle mich zeitlos. Schwebe herum. Überwinde Grenzen. Spüre dem Leben nach. Denke an Jakob. Meinen Jakob. Guter, alter Jakob.«
    »Ihr gestorbener Mann«, flüsterte ich Shar erklärend zu.
    »Ich weiß«, flüsterte
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