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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst...
Autoren: Teresa Medeiros
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eigenes Temperament eher aufbrausend war, hatte Caroline Vivienne immer schon um ihre Gelassenheit beneidet. Und um ihre glänzenden goldenen Locken. Caroline berührte mit der Hand ihr eigenes helles, weizenblondes Haar. Verglichen mit Viviennes schien es fast farblos. Da die feinen Strähnen sich einfach nicht locken wollten, blieb ihr nichts anderes übrig, als sie nach hinten zu bürsten und zu einem festen Knoten aufzustecken. Für sie gab es keine neckischen Löckchen, die ihr eher kantiges, unauffälliges Gesicht umschmeicheln konnten.
    »Ich glaube nicht, dass ich dich je dein Haar so tragen gesehen habe«, sagte sie Vivienne. »Es sieht sehr hübsch aus.«
    Vivienne hob eine Hand zu der schimmernden Lockenkaskade. »Seltsamerweise war es Lord Trevelyan, der die Frisur vorgeschlagen hat. Er hat gesagt, es würde meinen Augen schmeicheln und betone meine klassisch geformten Wangenknochen.«
    Caroline runzelte die Stirn und überlegte, wie merkwürdig es war, wenn ein Gentleman solches Interesse an der Frisur einer Dame bekundete. Vielleicht war der Verehrer ihrer Schwester ein Dandy wie Brummell, der sich mehr für die Qualität des Spitzenbesatzes am Kragen einer Dame begeistern konnte als für männlichere Betätigungen wie Politik oder Jagd.
    »Wie genau hast du eigentlich Lord Trevelyan kennen gelernt?«, fragte sie. »Du hast in deinem Brief geschrieben, du habest ihn auf Lady Norberrys Ball getroffen, aber du bist leider auf keine der sicher ergötzlichen Einzelheiten eingegangen.«
    Viviennes Lächeln wurde weicher. »Der Tanz war gerade zu Ende gegangen, und alle machten sich bereit, zum Souper zu gehen.« Sie rümpfte die zierliche Nase. »Ich glaube, die Uhr hatte gerade Mitternacht geschlagen.«
    Caroline stöhnte leise vor Schmerz, als ihr Portia einen Ellbogen in die Rippen stieß.
    »Ich habe über meine Schulter gesehen und entdeckte den außergewöhnlichsten Mann, den ich jemals gesehen habe. Er lehnte lässig im Türrahmen. Ehe ich recht begriff, wie mir geschah, hatte er meinen Begleiter für das Essen zur Seite gedrängt und darauf bestanden, mich in den Speisesaal zu führen.« Vivienne senkte schüchtern den Kopf. »Es war niemand da, uns einander offiziell vorzustellen, daher denke ich, alles war reichlich unziemlich.«
    Tante Marietta lachte trillernd hinter vorgehaltener Hand. »Unziemlich, in der Tat. Er konnte seine Augen gar nicht von dem Mädchen abwenden. Ich habe noch nie einen Mann so schnell so vernarrt gesehen! Als er Vivienne das erste Mal erblickte, wurde er so blass, man konnte meinen, er habe ein Gespenst gesehen. Seitdem sind die beiden Turteltäubchen nahezu unzertrennlich. Mit mir als Anstandsdame natürlich«, fügte sie mit einem gezierten Naserümpfen hinzu.
    »Und habt ihr beide auch Ausflüge am Tage unternommen?« Portia lehnte sich auf ihrem Sitz vor, ein künstliches Lächeln auf den Lippen. »Eine Kutschfahrt durch den Hyde Park? Den Elefanten im Tower besucht? Tee in einem sonnigen Garten genossen?«
    Vivienne schaute ihre Schwester verwundert an. »Nein, aber er hat uns in die Royal Opera begleitet, zu zwei musikalischen Abenden und einem Mitternachtsdinner von Lady Twickenham in ihrem Stadthaus in der Park Lane. Ich fürchte, Lord Trevelyan führt ein städtisches Leben. An den meisten Tagen steht er gar nicht vor Sonnenuntergang auf.«
    Dieses Mal war Caroline vorbereitet. Ehe Portia sie mit dem Ellbogen anstoßen konnte, packte Caroline sie am Arm und kniff zu.
    »Au!«
    Bei Portias unwillkürlichem Aufschrei hob Tante Marietta ihr Lorgnon und betrachtete das junge Mädchen missfällig. »Um Himmels willen, Kind, beherrsch dich. Man könnte meinen, jemand sei einem Hund auf den Schwanz getreten.«
    »Tut mir Leid«, murmelte Portia betreten, zog die Schultern hoch und warf Caroline einen verärgerten Blick zu. »Eine der Stecknadeln in meinem Kleid muss mich gestochen haben.«
    Caroline drehte sich zum Fenster und schaute auf die ruhigen Straßen von Mayfair, und ihr gelassenes Lächeln glich dem Viviennes. Die Kutsche bog in den Berkeley Square ein, und im sanften Schein der Straßenlaternen kam eine Reihe eleganter Stadthäuser aus Backstein ins Blickfeld.
    Als die Kutsche langsamer wurde und schließlich stehen blieb, reckte Caroline den Hals, um das Ziel ihrer Fahrt besser sehen zu können. Es gab nur wenig, worin sich das vierstöckige, im gregorianischen Stil erbaute Haus von den anderen unterschied, die um den Platz herum gebaut waren — keine
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