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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst...
Autoren: Teresa Medeiros
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veröffentlichen — eines gewissen George Gordon, Lord Byron daselbst.«
    »Eine bloße Behauptung, die Lord Byron abstreitet, wenn ich dich daran erinnern darf.«
    »Kannst du ihm daraus einen Vorwurf machen? Wie kann er auch anders, wenn der rücksichtslose, brütende Charakter Ruthven eine kaum verschleierte Version seiner selbst ist? Er kann es so oft und so lange abstreiten, wie er will, aber >Der Vampir< hat sein wahres Wesen allen enthüllt, die es sehen wollen.«
    Caroline seufzte, und an ihrer Schläfe begann ein Muskel zu zucken. »Sein wahres Wesen soll dann wohl das eines blutsaugenden Geschöpfes der Nacht sein, nehme ich an?«
    »Wie kann man daran zweifeln, wenn man >Der Ungläubige< gelesen hat?« In Portias Augen trat ein entrückter Ausdruck, den Caroline nur zu gut kannte. Portia hob eine Hand, nahm eine dramatische Pose ein und begann zu deklamieren:
»Doch erst auf Erden als Vampir gesandt,
    aus dem Sarge gerissen dein untoter Leib,
    gar schaurig sein Unwesen treibt im Heimatland.
    Er dürstet nach Blut mit aller Macht,
    daselbst von Mutter, Schwester, Weib,
    und trinkt zur Neige den Lebenssaft — zur Mitternacht.«
    Als Portias Stimme mit einem passend geheimnisvollen Ton verklang, rieb sich Caroline mit zwei Fingern die schmerzenden Schläfen. »Das beweist doch nicht, dass Byron ein Vampir ist. Es zeigt nur, dass er wie jeder andere große Dichter gelegentlich auch mal bedeutungsschwangeren Schwachsinn von sich gibt. Ich kann bloß hoffen, dass du stichhaltigere Beweise hast, um Viviennes neuen Verehrer zu belasten. Wenn nicht, dann muss ich davon ausgehen, dass es wieder genau dasselbe ist wie damals, als du mich vor Sonnenaufgang geweckt und darauf bestanden hast, dass eine Elfenfamilie unter den Fliegenpilzen im Garten lebt. Du kannst dir sicher meine heftige Enttäuschung vorstellen, als ich, nachdem ich barfuß durch das taufeuchte Gras gestolpert war, feststellen musste, dass deine Elfen nur eine Raupenfamilie war, ohne durchsichtige Flügel oder Elfenstaub.«
    Portias Gesicht wurde zwar rot, sie schob aber dennoch schmollend die Unterlippe vor. »Damals war ich erst zehn Jahre alt. Und ich kann dir versichern, dass ich mir das hier nicht allein ausgedacht habe. Erinnerst du dich nicht mehr an die Gerüchte in den Klatschblättchen während seines letzten Londonaufenthaltes? Nicht ein einziges Mal in all diesen Monaten in der Stadt wurde Viviennes Verehrer je im Tageslicht gesehen.«
    Caroline ließ ein wenig damenhaftes Schnauben hören.
    »Das ist wohl kaum ein Verhalten, das irgendwelchen Untoten vorbehalten ist. Die meisten jungen Gecken in der Stadt verbringen ihre Tage damit, die Nachwirkungen ihrer nächtlichen Exzesse auszuschlafen. Sie tauchen erst wieder auf, nachdem die Sonne untergegangen ist, auf dass sie mit Trinken, Kartenspielen und Frauen wieder von vorne anfangen können.«
    Portia packte sie am Arm. »Aber findest du es nicht ein wenig merkwürdig, dass er im Schutz der Dunkelheit in seinem Stadthaus angekommen und genauso wieder gegangen ist? Dass er darauf bestanden hat, jeden Vorhang im Haus tagsüber zugezogen und alle Spiegel mit schwarzem Krepp verhängen zu lassen?«
    Caroline zuckte die Achseln. »Er kann doch schlicht in Trauer gewesen sein. Vielleicht hatte er erst kürzlich jemanden verloren, der ihm lieb war.«
    »Oder etwas , das ihm lieb war. Wie zum Beispiel seine unsterbliche Seele.«
    »Ich denke, so ein Ruf würde ihn nicht unbedingt zu einem begehrten Gast bei Abendgesellschaften machen.«
    »Ganz im Gegenteil«, informierte Portia sie, »die gute Gesellschaft liebt nichts mehr als Hinweise auf einen Skandal und Rätsel. Erst vergangene Woche habe ich im Tatler gelesen, dass er diese Saison einen Maskenball auf seinem Familiensitz gibt, und halb London versucht, eine Einladung zu ergattern. Nach dem, was ich erfahren habe, ist er einer der begehrtesten Junggesellen der Stadt. Was genau der Grund ist, weshalb wir Vivienne aus seinen Klauen befreien müssen, ehe es zu spät ist.«
    Caroline schüttelte Portias verkrampften Griff ab. Sie konnte es sich kaum leisten, den düsteren Phantasien ihrer Schwester Beachtung zu schenken. Sie war die Älteste, die vernünftige große Schwester, die, die durch die Umstände dazu gezwungen war, nach dem frühen Tod ihrer Mutter und ihres Vaters vor acht Jahren in deren Fußstapfen zu treten. Die, die zwei schluchzende, todtraurige kleine Mädchen trösten musste, auch wenn ihr eigenes Herz gebrochen in ihrer
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