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Wenn die Eltern alt werden

Wenn die Eltern alt werden

Titel: Wenn die Eltern alt werden
Autoren: Kai Dietrich
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Verfügung.« Die Erfahrung zeige, »dass gerade dann, wenn man einem schwer kranken Patienten durch gutePalliativmedizin ein Angebot zum Leben und zu einem würdigen Tod macht, er das dem schnellen Selbstmord immer vorzieht«.
    Ein solches Angebot ist sicher für viele Menschen eine große Hilfe. Doch warum verweigert Montgomery den anderen seine ärztliche Heilkunst? Was ist an einem »schnellen Selbstmord« eigentlich unwürdig? Wer unheilbar krank ist, möchte vielleicht kein »Angebot zum Leben« mehr – vielleicht möchte er stattdessen möglichst schnell von seinen Leiden erlöst werden. So gibt es auch im Sterben eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Prominente setzen ihrem Leben per Pistole (wie Gunter Sachs) oder eben mit Natrium-Pentobarbital (wie das Ehepaar Eberhard und Helga von Brauchitsch) in der Schweiz ein Ende, weil sie über das Geld und/oder die Möglichkeiten verfügen. Es bleiben die vielen anderen, die das nicht können.
    Hermann Hesse sagte einmal: »Was den freiwilligen Tod betrifft: Ich sehe in ihm weder eine Sünde noch eine Feigheit. Aber ich halte den Gedanken, dass dieser Ausweg uns offensteht, für eine gute Hilfe im Bestehen des Lebens und all seiner Bedrängnisse.« Schade, dass manche für diesen Ausweg ins Ausland gehen müssen.
Der Fall Bettina Koch
    Möglicherweise kommt durch den Fall Bettina Koch endlich ein bisschen Bewegung in die Sache. Die Frau war im April 2002 beim Ausladen ihres Autos so schwer gestürzt, dass sie fortan querschnittsgelähmt war. Sie konnte nur noch den Kopf bewegen, musste künstlich beatmet und ernährt werden und war zudem auf einen Herzschrittmacher angewiesen. Bald wollte sie nicht mehr leben. Im November 2004 stellte sie darum beim Bundesinstitut für Arzneimittel den Antrag auf Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital, um sich damit schmerzfrei das Leben nehmen zu können.
    Endlos-Verfahren um ärztliche Sterbehilfe
    Das wurde abgelehnt mit der Begründung, Arzneimittel dürften nicht für einen Selbstmord verwendet werden (!). Daraufhin legten sie und ihr Mann Ulrich Koch Widerspruch ein. Da die Frau das Ergebnis nicht abwarten wollte, fuhren beide in die Schweiz, wo die Frau im Februar 2005 beim Verein Dignitas aus dem Leben schied.
    Kurz danach wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Witwer klagte dagegen, doch zwei Verwaltungsgerichte und zuletzt das Bundesverfassungsgericht wiesen ihn ab: Begründung: Er sei gar nicht klagebefugt (!). Daraufhin zog er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,der ihm im Juli 2012 teilweise recht gab: Zwar habe er nicht im Namen seiner Frau klagen können, aber im eigenen. Und: Die Gerichte hätten sich mit der Sache befassen müssen, da der Fall »grundlegende Fragen im Zusammenhang mit dem Wunsch von Patienten, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, die von allgemeinem Interesse waren«, betraf, so der Gerichtshof. Und damit wurde der Fall an die deutsche Gerichtsbarkeit zurückverwiesen, es geht also weiter. Der Fall rief sowohl Befürworter wie auch Gegner der ärztlichen Sterbehilfe auf den Plan. Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz Stiftung meinte, dass es gar nicht nötig gewesen sei, der Frau Natrium-Pentobarbital zu geben. Man hätte ja auf ihren Wunsch hin einfach das Beatmungsgerät abschalten können und durch palliativmedizinische Maßnahmen das Ersticken verhindern können. Doch genau das hätten zuvor die beteiligten Ärzte verweigert, schildert der Anwalt des Witwers: dass nämlich kein Arzt zu finden gewesen sei, der bereit gewesen wäre, seine Frau auf ebendiese Weise sterben zu lassen.
    Ganz anders die Befürworter von Selbstmord-Beihilfe in Einzelfällen, wie etwa der Humanistische Verband.
    Deutsches Betäubungsmittelgesetz
    Dessen Vize Erwin Kress: »Wir sind der Meinung, dass das Bundesamt für Arzneimittel die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital in bestimmten Fällen zulassen sollte.« Elke Baezner von der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) bedauert, dass kein Grundsatzurteil in Straßburg gesprochen wurde. Sie fordert für die Zukunft eine Ausnahmeregelung im deutschen Betäubungsmittelgesetz, weil es mit den Möglichkeiten der Palliativpflege nicht getan sei. Schwerst- und Sterbenskranken müsse die Möglichkeit einer ärztlichen Freitodhilfe, die klaren Sorgfaltskriterien genüge, eröffnet werden.
    Außerdem dürften die Ärzte, die bei einem Selbstmord assistieren, keiner Strafverfolgung oder Repressalien der Ärztekammern
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