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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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um das zum Flattern neigende Haar.
    Sie hatte sich bei dem Rektor, der der Tagesschule und dem Internat vorstand, schon am vergangenen Tag telefonisch angemeldet und wurde sofort empfangen. Rektor Snider, schlank, mittelgroß, mit kurz gehaltenem braunem Haar, saß in seinem Dienstzimmer, in dem er seine Vorgängerin, die indianische Rektorin Holland, abgelöst hatte. Einziger Wandschmuck in dem zweckmäßig eingerichteten Raum war das Bild des derzeit amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten. Eve sah den neuen Rektor nicht zum erstenmal. Er begrüßte seine junge Vorgesetzte höflich, und Eve nahm Platz. Als Snider das Schreiben gelesen hatte, das Eve Bilkins ihm persönlich überbrachte, versäuerte sich seine Miene.
    »Aber Miss Bilkins! Einen Mann mit solchem College-Abschluß wollen Sie zum Erzieher für Kleinkinder machen? Schicken Sie ihn lieber auf die Universität. Hier wird er nichts als ein unzufriedenes Element!«
    »Ich habe keine Stipendienplätze mehr. Die Sache ist entschieden, Mister Snider.«
    Schatten liefen wie Spinnenfüße über die Züge des Rektors. »Ich werde diesen Mahan also verdauen müssen. Jetzt, nach Beginn des Schuljahres! Nachdem alle und alles, Schüler, Lehrer, Schulräume bereits eingeteilt sind. Nun, ich werde sehen. Morgen kommt er also. Ich verstehe. O. k.«
    Eve Bilkins atmete auf. Sie hatte die Verantwortung für diesen Hugh Mahan, die Carr ihr zugeschoben hatte, an Snider weitergeleitet.
    Sie übergab dem Rektor Mahans sämtliche Papiere einschließlich ihrer nach Carrs Wünschen umgeschriebenen Beurteilung. Sie vermied es, den Rektor anzusehen, während dieser die Beurteilung aufmerksam las.
    »Ah, Miss Bilkins. So liegt diese Sache. Man macht meine abgelegene Schule hier zu einer Art Strafkolonie. Ich habe schon einen indianischen Taugenichts als Erzieher hergesetzt bekommen. Sie wissen ja.«
    Eve enthielt sich jeder weiteren Äußerung. Sie erhob sich, um der Situation zu entgehen, die ihr selbst peinlicher war, als Snider ahnen konnte.
    Der Rektor begleitete die Dezernentin hinaus zu ihrem Wagen. Als er zum Schulgebäude zurückkehrte, schrillte eben die Klingel; die kleine Zwischenpause hatte begonnen. Snider begegnete im Gang einer sehr jungen Lehrerin. Sie hatte die ersten Jahrgänge der regulären Schulausbildung übernommen. Diese Twen mit ihren blauen Augen und ihren kastanienfarbenen Locken nahm sich nett aus, und Snider sprach sie an, da ihm ihr tief enttäuschter Ausdruck nicht entgangen war.
    »Schon wieder Schwierigkeiten, Miss Hay?«
    »Zum Verzweifeln, Mister Snider. Man hat mir in Washington nicht zuviel gesagt, wenn man mir bedeutete, daß ich zu einem verlausten, schmutzigen und feindseligen Volk komme. Die Kinder wollen kein Englisch verstehen. Als Babys schon müßte man sie ihren Eltern wegnehmen!«
    »Das geht leider nicht. Aber seien Sie zuversichtlich, Miss Hay.« Snider hatte die Maske seines Lächelns wieder aufgesetzt. »Morgen stelle ich einen weiteren Erzieher für die Beginnerklasse ein. Einen Mann mit Collegebildung. Seine Aufgabe wird es sein, den nächsten Jahrgang so vorzubereiten, wie Sie es wünschen.«
    »Wer ist der Kollege?«
    »Ein Mister Mahan. Allerdings Indianer.«
    »Hoffentlich nicht von hier.«
    »Doch, leider.«
    Die junge Lehrerin seufzte, nicht auffällig, aber doch vernehmlich. Dann straffte sie sich unwillkürlich.
    »Mister Snider, ich habe 20 Prozent Sitzenbleiber in meinen Klassen, ein schreckliches Hindernis. Könnte man diese unfähigen und stumpfsinnigen Kinder nicht in die Beginnerklasse zurückstufen? Zu Mister Mahan? Vielleicht gelingt es ihm, seine Stammesgenossen das Lernen zu lehren.«
    Snider war mit dem Vorschlag der nach Erfolg dürstenden jungen Lehrerin sehr zufrieden. Sie hatte das Rätsel gelöst, welche Kinder er dem zu spät eintretenden Erzieher zweckmäßigerweise zuschieben könnte. Er würde ihr die Aufgabe übertragen, Mahans Leistungen anzuregen und zu überprüfen. Die unliebsame Verantwortung war wiederum abgeschoben; Miss Hay hatte in ihrem Eifer den »Schwarzen Peter« gezogen, den Snider ihr in dem verdeckten Kartenspiel hinhielt.
     
    Hugh Mahan, der Mann, der durch sein bloßes Dasein die Beamten beschäftigte und verärgerte, kam an dem Abend vor seinem Dienstantritt zu seiner heimatlichen Blockhütte. Es war nach 17 Jahren die fünfte Nacht, die er dort verbringen wollte.
    Die Blockhütte der Familie Mahan lag fernab von Schule und Agentursiedlung. Um Schutz vor den
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