Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten
Autoren: Dan Wells
Vom Netzwerk:
Warum hat er gerade diesen und keinen anderen Menschen getötet? Warum an diesem und nicht an jenem Ort? Warum jetzt und nicht früher oder später? Welche Waffe hat er benutzt, falls überhaupt, und wie hat er sie geführt? Fügen Sie alles zusammen, und Sie erhalten ein psychologisches Profil, das Ihnen wie ein impressionistisches Gemälde den Mörder zeigt. Wenn Niemand doch endlich jemanden getötet hätte, damit ich ihr das Handwerk legen konnte!
    Einen Killer aufzuspüren ist einfach. Einen Täter ausfindig zu machen, bevor er tötet, ist so gut wie unmöglich. Am schlimmsten war die Tatsache, dass ich selbst viel stärker auffiel, als es die Dämonen taten. Zwei von ihnen hatte ich bereits getötet – Bill Crowley und Clark Forman, zwei Monster in Menschengestalt. Wenn Niemand wusste, wo sie suchen musste, und sich genügend Zeit ließ, würde sie mich viel leichter entdecken als ich sie. Mit jedem Tag wuchs die Anspannung, ich war beinahe schon verzweifelt. Sie konnte hinter jeder Ecke lauern.
    Ich musste sie finden, bevor sie mich fand.
    So radelte ich nach Hause und hakte in Gedanken die Häuser ab, die ich bereits überprüft hatte. Die dort hatte einen Geliebten. Jene war Alkoholikerin. Diese da hatte hohe Spielschulden, sie hat im Internet gepokert. Soweit ich wusste, hatte sie ihrer Familie noch nicht erzählt, dass die Ersparnisse verloren waren. Seit einer Weile beobachtete ich Menschen, durchwühlte ihren Müll, erfasste, wer spät ausging, wer sich mit wem traf und wer etwas zu verbergen hatte. Schockiert stellte ich fest, dass fast jeder irgendein Geheimnis mit sich herumtrug. Es war, als gehe die ganze Stadt in Korruption unter und zersetze sich selbst, bevor die Dämonen überhaupt Gelegenheit bekamen, ein Opfer zu finden. Verdienten es Menschen wie diese eigentlich, gerettet zu werden? Wollten sie überhaupt gerettet werden? Wenn sie wirklich so selbstzerstörerisch waren, dann hatten ihnen die Dämonen viel mehr zu bieten als ich, denn die Dämonen beschleunigten nur den endgültigen Untergang, den die Menschen sowieso ansteuerten. Eine ganze Stadt, die ganze Welt hatten sich das Handgelenk aufgeschlitzt und verbluteten, und das Universum kümmerte sich nicht darum.
    Nein. Ich schüttelte den Kopf. So etwas durfte ich nicht denken. Ich musste weitermachen.
    Ich musste die Dämonin finden und aufhalten.
    Das war in der Praxis viel schwieriger als vermutet. Sherlock Holmes pflegte die Quintessenz seiner Ermittlungen elegant zusammenzufassen: Wenn Sie das Unmögliche ausschließen, muss das, was übrig bleibt, so unwahrscheinlich es auch anmutet, die Wahrheit sein. Wirklich ein guter Rat, Sherlock, aber du musstest nie einen Dämon aufspüren. Ich hatte zwei gesehen und mit einem dritten gesprochen, und alles, was sie getan hatten, war im Grunde unmöglich. Sie hatten sich die eigenen Organe aus dem Leib gerissen, waren nach einem Dutzend Schusswunden einfach aufgestanden, hatten sich fremde Körperteile einverleibt und die Gefühle anderer Menschen erspürt. Sie hatten Identitäten, Gesichter und das Leben von Menschen gestohlen. Soweit ich es beurteilen konnte, vermochten sie so gut wie alles zu tun. Wie sollte ich sie da entdecken? Wenn Niemand doch endlich jemanden getötet hätte, dann wäre ich auf eine greifbare Spur gekommen!
    Als ich fast zu Hause war, blieb ich vor einem hohen beigefarbenen Haus stehen. Dort wohnte Brooke. Wir hatten zwei Dates gehabt, die beide durch Todesfälle gestört worden waren, und ich – ja, was denn eigentlich? Hatte ich sie wirklich gemocht? Keine Ahnung, ob so etwas möglich war, denn ich war ein Soziopath. Sollte heißen, ich litt an einer psychischen Störung, die unter anderem jegliche Empathie ausschaltete. Ich konnte keine echte Beziehung zu Brooke aufbauen. Ob ich mich über ihre Gesellschaft freute? Ja. Ob ich nachts von ihr träumte? Abermals ja. Doch meine Träume waren morbid, und meine Gesellschaft tat ihr alles andere als gut. Also war es ganz in Ordnung, dass sie mir seit einer Weile aus dem Weg ging. Es war keine Trennung gewesen, weil wir eigentlich nie zusammen gewesen waren, aber immerhin das platonische Gegenstück einer Trennung, auch wenn es dafür kein passendes Wort gab. Ein Satz wie Du machst mir Angst, und ich will dich nicht wiedersehen war jedenfalls kaum misszuverstehen.
    Irgendwie konnte ich es sogar nachvollziehen. Schließlich war ich mit einem Messer auf sie losgegangen. So etwas überwindet man nicht so leicht, selbst wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher