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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel
Autoren: Justin Evans
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Victoria .
    Andrew stellte sich vor den Spiegel. Er sah aus wie ein halbgezähmtes Tier, das in Klamotten gezwängt worden war. Sein wildes schwarzes Haar quoll über das oben offene Hemd.
    Trotzdem konnte –  oder wollte  – er die Krawatte auf keinen Fall umbinden. Das wäre die ultimative Unterwerfung. Das Hundehalsband. Theo lachte und kletterte hinter Andrew auf einen Stuhl, so dass er im Spiegel sehen konnte, was er tat. Seine Hände legten sich um Andrews Hals; Andrew zuckte zusammen, aber Theo ließ sich nicht beirren, bis er sein Werk mit der Krawatte vollbracht hatte. Dann tätschelte er Andrews Schulter.
    »Es gibt kein Entrinnen mehr, Kumpel. Du bist einer von uns.«
    Theo begleitete ihn auch in den Speisesaal, einen niedrigen Bau aus den 1970er Jahren, der durch einen Torbogen von der High Street aus zugänglich war.
    Das war gut, denn im Inneren wartete die Anarchie: ein dämpfiger niedriger Raum mit braunen Ziegelwänden, in dem Hunderte Knabenstimmen durcheinander sprachen. Zwei lange Schlangen standen vor der Essensausgabe vor der Küche an. Aus Spaß fingen zwei großgewachsene Jungs an, am Ende der Schlangen zu drängeln; rempelten den Kameraden vor sich mit den Schultern an und versuchten sie umzustoßen wie Dominosteine. Hey, ertönte ein empörter Schrei aus vielen Kehlen. Gesichter verzogen sich vor Ärger. Ein paar Jungs aus der sechsten Klasse, die ihre Pflicht als Aufsicht zum ersten Mal ausübten, tauchtenauf und versuchten, die Leute zurückzuhalten wie Sicherheitsmänner bei einem Rockkonzert. Letzten Endes bekam Andrew einen weißen Teller mit zwei Spiegeleiern und Bohnen. Er war angenehm überrascht. Es gab keinen Haferbrei. Er folgte Theo quer durch den Saal – bahnte sich seinen Weg durch Jungs in Bluers vorbei an der großen Toaststation mit einem halben Dutzend Toastern, neben denen sich Brot stapelte und Schüsseln mit roter Marmelade standen; die Jungs lebten von Toast, das sollte Andrew noch erfahren – zu einem langen, massiven Holztisch am Fenster. Dies war der Tisch für die Oberstufenschüler. Die Jüngeren saßen an anderen Tischen, die im rechten Winkel zu diesem standen.
    Theo stellte den Neuling vor.
    »Hey, allerseits: Das ist Andrew aus Amerika. Sagt hallo wie menschliche Wesen.«
    »Fick dich, Ryder.«
    »Ja, fick dich.«
    »Fick dich auch, Yank.«
    »Ja, verpiss dich.« Sie kicherten.
    »Fresst Scheiße, Arschlöcher«, knurrte Andrew.
    Die Blicke aller richteten sich auf ihn  – sie waren erstaunt, dass der Neue ihren Scherz ernst genommen hatte.
    »Reizend.«
    »So begrüßt man sich in Amerika?«
    » Auf die Art begrüßt man sich in England?«, erwiderte Andrew.
    »Das ist englischer Humor, Mann«, meldete sich ein stämmiger Junge mit Locken zu Wort. »Amerikaner verstehen den englischen Humor nicht.«
    »Versuchen wir’s noch mal«, schlug Theo vor. »Andrew ist ein neuer Student. Er verbringt hier sein Zwischenjahr.«
    »Du verbringst dein Zwischenjahr … hier ?«
    »Du musst verrückt sein.«
    »Was ist ein Zwischenjahr?«, wollte Andrew wissen.
    »Was ein Zwischenjahr ist?«, platzte der stämmige Junge heraus. »Bist du erst gestern geboren?«
    »Das Jahr vor der Universität, das man für Reisen nutzt  – ein Sabbatjahr«, erklärte Theo, dann deutete er auf den stämmigen Jungen. »Darf ich vorstellen? Das ist Roddy Slough.«
    »Abgefahren«, fügte der sommersprossige Sitznachbar von Roddy hinzu, als wäre er Roddys Sprachrohr.
    »Verdammter Loser«, fügte ein anderer hinzu und bewarf Roddy mit einer zusammengeknüllten Serviette.
    »Du musst sie entschuldigen. Ich scheine hier der Einzige mit Manieren zu sein.« Roddy erhob sich und schüttelte Andrew die Hand.
    Später erklärte Theo, dass Roddy der Hausclown war; die anderen nannten ihn nouveau – wie neureich –, weil sein Vater eine Fast-Food-Kette in London besaß; Roddy war süchtig nach Comics und verbrachte die meiste Zeit in seinem Zimmer. Er sei ein Blitzableiter, was Beschimpfungen betraf, berichtete Theo mit einem Kopfschütteln.
    »Oh, setz dich hin, Trottel«, rief der Serviettenwerfer angewidert.
    Theo stellte ihn als St. John Tooley vor. Unstete Augen, zappelig, ölige Stirnlocke und Sommersprossen. Sein Vater sei einer der hundert reichsten Männer Englands, flüsterte Theo. Tooley, wie Tooles, Inc., die globale Zeitarbeitsfirma. Wie Sir Howard Tooley.
    Ein Junge namens Hugh wurde Andrew vorgestellt; er hatte dichte Wimpern und zeigte sich übermütig. Als sein Name
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