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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel
Autoren: Justin Evans
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Herausfinden, was mit fertig gemeint war? Er litt unter Jetlag, Schlafmangel und Hunger … nein. Heute wollte er das nicht.
    Er atmete tief durch und trat zum ersten Mal auf das Gelände der Harrow School. Platsch. Direkt in eine Pfütze.
    Scheiße. Typisch.
    Er schlurfte über den Kies und hatte alle Mühe, seine Taschen festzuhalten.
    Offensichtlich kam er zu früh.
    »Du solltest erst um fünf hier sein«, fauchte die Frau, die ihm die Tür öffnete. Sie hatte graues Haar, Wimpern mit viel zu viel Tusche und eisblaue Augen, die vielleicht einmal hübsch gewesen waren. Jetzt war sie ganz Busen und Bauch. Sie wischte sich die Hand an einem Handtuch ab. Eine Tür, die rechts vom Vestibül abführte, stand offen, und Andrew konnte ein Wohnzimmer – ein Tablett mit Essen und den blauen Schimmer eines Fernsehers sehen.
    »Ich soll ab jetzt hier wohnen«, erklärte er nachdrücklich. »Ich kann nirgendwo anders hingehen.«
    »Amerikaner«, bemerkte sie und funkelte ihn an. »Alles muss nach eurem Zeitplan ablaufen.«
    »Unglücklicherweise gab es keine Maschine nach Heathrow,die genau dann landete, wenn das Hausmädchen bereit ist .«
    »Hausmädchen?« Sie richtete sich entrüstet auf. »Ich bin Matron.«
    War das ein Name oder ein Titel? Sie hatte das mit einem solchen Stolz verkündet, als wäre Matron ein Element im Periodensystem.
    »Und ich bin seit gestern Abend unterwegs. Darf ich bitte reinkommen?«
    Matron – die Matron – trat theatralisch einen Schritt zur Seite und ließ ihn mit einem resignierten Seufzer herein.
    The Lot sah innen genauso schäbig aus wie außen. Alte glänzende Lackfarbe. Verschrammte Anschlagbretter. Allgemeine Düsterkeit. Der Geruch von Desinfektionsmitteln hing in der Luft, als ob das Haus in aller Hast geputzt und für die erwarteten Schüler hergerichtet worden wäre. Etliche Treppen und Flure gingen von der Eingangshalle ab. Matron führte Andrew über eine ausgetretene Steintreppe drei Stockwerke höher in sein Zimmer. Es lag mit drei anderen Zimmern an einem kurzen Gang. Hier wohnten nur Schüler der sechsten Stufe, erklärte Matron ( Seniorschüler, übersetzte er im Stillen.) Die schrägen Wände machten sein Zimmer einigermaßen gemütlich.
    »Ich nehme an, du möchtest ein bisschen herumgeführt werden«, grummelte Matron.
    Das Lot, sagte sie, bestand eigentlich aus zwei Häusern – aus diesem hier – dem ursprünglichen mit dem Charakter – und einem neuen, das hinter dem Gebäude errichtet worden war. Sie hetzte ihn durch Korridore und Flure. In dem Haus wohnten sechzig Jungs, von Shells bis zur sechstenStufe. Holzplaketten, in die die Namen früherer Hausbewohner geschnitzt waren, hingen an den Wänden der breiteren Korridore (Gascoigne, M.B.H., Lodgee, H.O.M. The hon, Podmore, H.JT); oben befanden sich Gemeinschaftsräume mit Satellitenfernsehern und Teeküchen . Unten waren ein Snookerraum, Musikzimmer, Duschen und Bäder. ( Snooker?, wunderte sich Andrew.) Sie passierten eine schmuddelige Halle mit gespanntem Netz – Matron sprach vom Yarder. Zweifellos war dies ein Raum, in dem sich die Schüler bei schlechtem Wetter austoben konnten. Ein paar Bälle steckten in dem Netz wie Fliegen in einer Spinnwebe. Dann stiegen sie eine enge Treppe hinunter in ein Labyrinth aus Gängen mit niedrigen Decken.
    »Das ist der Keller?«, fragte Andrew. Gänsehaut überzog seine Arme. »Es ist kalt. Fühlt sich an, als hätte jemand die Gefrierschranktür offen gelassen.«
    Matron bedachte ihn mit einem verärgerten Blick. »Du musst dir etwas im Flugzeug eingefangen haben.«
    Er wollte antworten: Hey, das war keine Kritik, hielt aber inne. Irgendetwas war in diesem Keller anders. Als ob all der Zerfall und die baufälligen Teile des Hauses in dieses Untergeschoss verbannt worden wären. Blanke Balken an den Decken und alte verbogene Nägel. Wie bei einer archäologischen Freilegung zeigten die Wände schichtweise ihr Mauerwerk – an manchen Stellen im Fischgrätenmuster, kathedralenartig, an anderen lagen die vom Alter angefressenen Steine wie Überlebende einer armseligeren Zeit grob senkrecht aufeinander. An den Wänden lehnten stapelweise weitere Namensplaketten und fingen den Staub wie uralte Schilde in einer Schatzkammer. Sie sahen nicht aus wie die gefälligeren, walnussfarbenenSchilder, die oben an den Wänden hingen; die Schwärze der Buchstaben verschmolz mit dem fleckigen rußigen Holz, als hätten die Plaketten selbst die Namen vergessen, die in sie
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