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Weiß wie der Tod

Weiß wie der Tod

Titel: Weiß wie der Tod
Autoren: Roman Rausch
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finden. Wie sich zeigte, ergebnislos.
    Nicht ganz, denn einen unerwarteten Fund konnten sie verbuchen. Was anfänglich nach einem knorrigen Ast ausgesehen hatte, der sich aus dem Morast erhob, wusch der Regen zu einer menschlichen Hand frei. Nicht die von Leonie, sondern die eines noch unbekannten Mannes, dessen restlicher Leib im Morast verschwunden blieb.
    Ringsum in den schmalen und hohen Fleetfronten der Außendeichhäuser standen die Menschen an den Fenstern, um die Polizei bei ihrer Arbeit zu beobachten. Der Regen prasselte auf das weiße Zeltdach, das um die Fundstelle aufgebaut war. Darunter befreite der Rechtsmediziner Dragan Milanovic den Toten vom Schlamm. Er musste vorsichtig vorgehen, da sich die Oberhaut an der Leiche bereits gelöst hatte.
    Zum Vorschein kam ein nackter, aufgedunsener männlicher Körper, der beträchtliche Verletzungen aufwies. Auffällig waren die sichelförmigen und scharfkantigen Einschnitte im Fleisch. Daneben und über den ganzen Oberkörper verteilt Schlagverletzungen, genauer: zahlreiche parallel verlaufende, streifenförmige Blutungslinien, die durch einen schmalen Streifen unbeschädigter Haut getrennt waren. An einigen Stellen war die Haut aufgeplatzt. Darunter die ergraute Fettschicht.
    An Milanovic’ Seite verfolgten Kriminalhauptkommissarin Hortensia Michaelis und Kriminalobermeisterin Naima Hassiri den Vorgang mit gespannter Ungeduld. Wie befürchtet, zeigte auch dieses Opfer die bekannten Spuren.
    »Was meinst du?«, fragte Michaelis Milanovic.
    »Einen Moment noch.«
    An Füßen und Händen zeigte sich Waschhaut – eine runzlige Aufquellung der Haut infolge der Wassereinlagerung im Gewebe. Die Totenstarre war bereits gelöst. Totenflecken waren an den Unterarmen und Unterschenkeln nur spärlich ausgeprägt, ein Zeichen dafür, dass die Leiche in Bauchlage getrieben haben musste. Die Hornhaut der Augen war trüb, eine Feststellung der Augenfarbe war nicht mehr möglich.
    »Also«, begann Milanovic, »der Körper lag vermutlich nicht länger als zehn bis zwölf Tage im Wasser. Der Mann war bereits tot, als er ins Wasser gelangte. Anzeichen des Ertrinkens sind nicht feststellbar. Die Hämatome an den Schlagverletzungen sehen alle gleich aus. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sie postmortal zugefügt wurden.«
    »Und was ist mit den großen Fleischwunden?«, fragte Naima Hassiri.
    »Sieht nach einer Schiffsschraube aus.«
    »Das heißt«, ergänzte Michaelis, »dass der Körper an der Wasseroberfläche geschwommen sein muss.«
    Milanovic bestätigte. »Ja, aber nicht länger als drei bis vier Tage. Bei der Wassertemperatur hat sich die Bildung von Fäulnisgasen im Körper verlangsamt. Ich sehe keine Spuren einer Fixierung. Folglich trieb der Körper am siebten oder achten Tag vom Grund zur Oberfläche und hat dann Bekanntschaft mit einer Schiffsschraube gemacht.«
    »Das Nikolaifleet scheidet folglich als Ablageort aus«, folgerte Naima.
    »Ist anzunehmen, wenngleich nicht ausgeschlossen. Der Körper kann bei der aktuellen Hochwasserlage und den Strömungsverhältnissen quasi im ganzen Hamburger Wassergebiet unterwegs gewesen sein, bevor er hier im Schlamm versunken ist.«
    »Hast du einen Hinweis auf die Todesursache?«, fragte Michaelis.
    »Diese Art von Schlägen kann, wenn sie mit großer Wucht ausgeführt wird, schwere innere Verletzungen hervorrufen. Ansonsten vermag ich nichts zu erkennen, was auf eine andere Tötungsart hinweist.«
    »Dann haben wir es wieder mit unserem Totschläger zu tun?«, fragte Naima.
    Milanovic zuckte die Schultern. »Das Verletzungsmuster ist bis auf die Verletzungen durch die Schiffsschraube ähnlich.«
    »Danke«, sagte Michaelis und beendete damit das Gespräch. Sie spannte den Regenschirm auf und verließ mit Naima das schützende Zelt. Über den schmalen Steg in der Deichstraße angekommen, gingen sie zum Parkplatz und stiegen ins Auto.
    »Was schlägst du vor?«, fragte Naima.
    »Zwei Leichen mit gleichem Verletzungsmuster und eine Leiche in Einzelteilen«, antwortete Michaelis. »Ich glaube, es ist Zeit für unseren Spezialisten.«

3
    Auf den ersten Blick hätte Lili Waan eine ganz normale Sechzehnjährige aus der elften Klasse der Gesamtschule Wilhelmsburg sein können – ein feingliedriger Körper in schmal geschnittenen Jeans, enges T-Shirt, das ihre kleinen Brüste unterstrich, hennafarbene, lange Haare und ein Markenhandy in glitzerndem Pink am Ohr.
    Der Teint ihrer Haut hingegen harmonierte nicht so recht mit den
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