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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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Papa. In seinem Wuschelhaar konnte ich mich mit beiden Händen festhalten und Verstecken spielen. Gerne drückte Papa mein Gesicht an seine Bartstoppeln; das kitzelte, und ich lachte: «Hör auf, Papa.» In seiner Freizeit malte er schöne Bilder und nahm mich mit auf seinem Fahrrad.
    Die Geschichte, die ich erzählen will, spielt am Nachmittag des Heiligen Abends im Jahre 1940, ich war damals fünf Jahre alt. Es schneite dicke Flocken, und Papa sagte: «Fahrt zu Oma Anna. Ich erwarte den Weihnachtsmann und wünsche mit ihm ein Gespräch unter Männern zu führen.» — «Papa, kann ich nicht auch hierbleiben bei dir? Ich störe dich auch kein bißchen.» — «Nein ist mein letztes Wort.» Er sah mich streng an, dann wußte ich: Es war so. Über meine Lederstiefel zog ich die Galoschen. Dabei mußte mir Mutti helfen. Meine Oma Anna! Die anderen Kinder sagten immer, wenn sie sie sahen: «Der General kommt!» Zu mir war sie aber immer liebevoll. Ich schmiegte mich so gern an ihren prallen Körper. Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten gedreht, in dem viele Haarnadeln steckten. Bei ihr durfte ich so wild sein, wie ich wollte. Genau das liebte sie. Ich durfte auf Bäume klettern, durfte meine ältesten Sachen tragen, und pfeifen durfte ich auch. Wenn ich Oma Anna von weitem sah, jauchzte ich und rannte in ihre weitgeöffneten Arme. «Ach, Marjell», lachte sie, bis ihr die Tränen kamen. So, jetzt nur noch den Mantelzuknöpfen... «Lauf, Kleines, und grüß schön», sagte Papa und lächelte.
    An Muttis Hand rutschte ich auf freigeschaufelten Gehwegen, und immer wieder stapfte ich in einen Schneeberg daneben. Jeder Busch, jeder Baum war dick mit Schnee beladen. Ich schüttelte die Büsche, ich mußte ausprobieren, wie leicht der Schnee war. «Mutti, wann kommt der Weihnachtsmann? Kommt er zu allen Leuten? Auch zu den ganz Alten? Wo wohnt er eigentlich? Und wie kommt er vom Himmel runter? Oma Anna ist doch gar keine richtige Oma. Eine Oma muß doch furchtbar alt sein und am Stock gehen.» Entlang der Büsche machte ich mir eine kleine Rutsche, rutschte solange darauf herum, bis ich eine glatte Bahn hatte. Kein einziges Mal fiel ich hin. Die Straßenbahn kam. Außer Mutti und mir stiegen noch andere Leute ein. Drinnen blieben wir stehen. Die Leute sollten doch meinen schönen roten Mantel mit dem Pelzkragen und den weißen Fellmuff sehen! Ich fragte laut: «Mutti, warum gibt es einen Weihnachtsmann und keine Weihnachtsfrau? Warum weißt du das nicht?» Die Leute drehten sich um, guckten mich an, lachten. «Ist es dem Weihnachtsmann denn nicht zu kalt im Wald? Passen die vielen Geschenke alle auf seinen Schlitten? Kommt der Weihnachtsmann jedes Jahr? Und was ist, wenn er die Masern kriegt? Dann steckt er doch die Leute an.» — «Sei endlich still», zischelte Mutti. Am Schloß stiegen wir aus.
    In der Stadtmitte stand ein Haus neben dem anderen, und viele Fenster waren erleuchtet. Den Weg zu Oma Anna kannte ich: Die dritte Straße rechts rein. An der Ecke war ein Fleischer, dahinter kam ein Spielwarenladen. In dem Schaufenster saß eine Puppe: blonde Zöpfe, himmelblaue Augen. Mutti sagte: «Guck mal, wie die Schneeflocken im Laternenlicht tanzen.» Ich guckte kurz hin und rannte die vielen Stufen zu Oma Annas Wohnung hinauf und direkt in ihren Bauch hinein. Wie gut, daß es bei ihr warm war. Ein kleiner Tannenbaum mit viel Lametta, Watteflöckchen und weißen Kugeln stand auf dem Tisch.
    Wir sangen Weihnachtslieder. Danach setzte ich mich auf Oma Annas Schoß. Oma erzählte von früher, als sie ein Kind war. «Oma, sag mal, wie es war, als Papa ein Junge war.» Sie zählte seine Streiche auf, die ich schon kannte und mir nie langweilig wurden. Einmal hatten sich Papa und sein Freund verkleidet und sangen nachts laut das Lied «Wir lachten, daß die Balken bogen, so ungefähr nach Mitternacht». «Oma, sing das mal.» — «Das ist kein Weihnachtslied», sagte Oma Anna.
    Irgendwann meinte Mutti: «Jetzt könnte der Weihnachtsmann vielleicht schon bei Papa sein.» Da konnte ich es nicht länger aushalten. Wenn der Weihnachtsmann jetzt mit Papa sprach... «Weißt du, meine liebste Oma, ich glaube, wir müssen nach Hause. Vielleicht möchte der Weihnachtsmann sich doch auch ein bißchen mit mir unterhalten?» Dagegen sagten Oma und Mutti nichts. Wir zogen uns an und gingen durch Oma Annas dunklen Hausflur. Mutti versuchte, die Haustür zu öffnen. Ich wollte ihr helfen. Eisiger Wind wehte mir eine Unmenge feinen Schnee ins
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