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Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Weihnachtsgeschichten am Kamin 04

Titel: Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Autoren: Uwe Friedrichsen , Ursula Richter
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Geheimnis zu erhaschen. Doch dieser Blick ins Zauberland war mit Angst, Zittern und schlechtem Gewissen erkauft. Immer und immer wieder hatte uns Mutter eingeschärft, daß Neugier das entsetzlichste Laster auf der Welt sei und daß das Christkind jedem die Augen ausblase, der es bei seinem Tun beobachte.
    So versuchten wir denn, unser Weihnachtsfieber zu bekämpfen und uns «nützlich» zu machen. Doch wir standen nur im Weg herum und waren eine rechte Last. («Weihnachten für die Kinder, doch Weihnachtsvorbereitungen ohne die Kinder», war der Stoßseufzer meiner reichlich gequälten Mutter.) Sie verfrachtete uns auf die Stühle, wir saßen artig am Küchentisch und versuchten es mit Mandelabziehen. Aber die glitschigen Dinger flutschten aus unseren tolpatschigen Fingern weg. Wenn wir endlich aus einem Gewirr von Tisch, Stühlen und Menschenbeinen wieder auftauchten und triumphierend den gefundenen Kern hochhielten, so türmte sich längst ein gelblichweißes Berglein von ihrer braunen Haut befreiten Mandeln auf dem Tisch. Mutters und Kunis fleißige Hände waren schon dabei, sie in duftende Makronen umzuwandeln. Wir stützten den Kopf in die Hände und verfolgten mit großen Augen den Weg von der Kuchenschüssel zum Blech. Das letzte Restchen Teig wurde unseren Händen überantwortet, und wir formten mit vor Aufregung schweißnassen, klebrigen Fingern daraus schwärzlich-graue Männlein, Kringel und Bretzen.
    Mit großen Blechen und noch größeren Schritten lief Kuni zum Neumüller, um all die vielen Sorten Plätzchen zum Backen zu bringen.
    Dieselbe Erregung, die uns schon so lange in ihrem Bann hielt, bemächtigte sich nun auch meiner Mutter. Sie wurde fahrig und zerstreut. Jedes Jahr schien sie aufs neue einen Mißerfolg ihrer Backkunst zu befürchten. Und wie jedes Jahr nahm sie dann mit hörbarem Aufatmen die braunen Wundergebilde in die Hand und beäugte sie wie eine Amsel den Regenwurm mit schiefgeneigtem Kopf. Und siehe: der «Zucker» war wohlgeraten.
    Auch Petrus schickte sich an, seine weihnachtliche Zuckerbäckerei zu eröffnen. Denn heimlich und still war über Nacht alles weiß geworden. Unablässig rieselte der Schnee. Jeder Busch und jeder Baum trug ein silbernes Feenkleid, und alle Pfosten hatten eine weiße Pudelmütze übergezogen.
    Wir trödelten den Bahnweg entlang, denn man hatte uns aus dem Haus entfernt, «um das Christkind nicht zu stören». Die Flocken schmolzen auf unseren warmen Wangen, und wir streckten die Zungenspitzen heraus, um den klaren sauberen Schnee zu schmecken. Wie lange so ein Nachmittag sein kann, bis es «Heiliger Abend» wird (viel, viel länger, als später ein ganzes Leben dauert)! Wir erörterten in langen Zwiegesprächen, ob unser mit steifen, ungelenken Buchstaben geschriebener Brief auch an die himmlische Adresse gelangt sei. Dabei sahen wir in den grauen, schneeverhangenen Himmel mit dem lichten Streifen am Horizont: wie ein Abglanz des Paradieses. Und noch einmal sagten wir inbrünstig unser Verslein auf, mit dem wir wochenlang unser Nachtgebet beschlossen hatten: «Christkindl, flieg über mein Haus und leer Dein gold’nes Wägele aus!»
    Das Haus empfing uns mit seinen warmen, traulichen Armen, und sein Atem roch nach frischem Tannengrün, Backwerk und Weihnachtsbraten.
    Feierlich gingen wir die Treppe hinauf, die wir so oft im Sommer mit fröhlichem Gepolter hinuntergesprungen waren. Immer noch war die frische Winterkälte um uns, als die silberne Klingel ertönte und die Weihnachtstür sich langsam öffnete. Einer drängte den anderen: «Geh du zuerst!», denn die Pracht und die Herrlichkeit des strahlenden Lichterbaums verschlug uns fast den Atem.
    Dann plötzlich gingen wir beide gleichzeitig durch die Tür, ja einer versuchte den anderen zurückzuschieben: «Ich habe... wir haben...» — vor Aufregung blieben uns die Stimmen im Halse stecken: Oh, die Fülle der Gaben, die Fülle der Gaben! Immerwährende Kinderseligkeit! «...und leer Dein gold’nes Wägele aus!»

    Ingrid Hüffel

Mein Papa, meine Mutti und ich

    Auf dem Nassen Garten, dem Armenviertel von Königsberg, auf dem windschiefe alte Häuschen neben Neubauten standen, wohnten Arbeiter, einfache Angestellte und ein Kleinbauer. Auf dieser Straße und den angrenzenden Wiesen spielten wir, ohne etwas von Armut zu wissen. Kinder gab es reichlich. Hier in einem der Neubauten waren wir zu Hause. Papa war ein Riese, doppelt so groß wie Mutti. Ich kam mir schon sehr groß vor, fast so groß wie
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