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Wehe wenn der Wind weht

Wehe wenn der Wind weht

Titel: Wehe wenn der Wind weht
Autoren: John Saul
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Augen, die entschlossen funkelten, und obwohl sie auf die achtzig zuging und steif wurde, war ihr Körper noch immer kräftig. Sie erhob sich nicht, um die Besucher zu begrüßen; sie war eine der Frauen, die erwarten, daß andere sich erheben, während sie sitzen bleiben.
    Christie, die nicht wußte, was sie tun sollte, stand ruhig da und starrte auf den Boden. Plötzlich drang ein seltsamer Duft in ihre Nase und sie nieste. »Gesundheit«, sagte Diana. »Bist du erkältet?« Christie schüttelte ihren Kopf. »Ich habe etwas gerochen, und das brachte mich zum Niesen.«
    Diana schnüffelte und lächelte dann. »Das ist Lavendel«, sagte sie. »Magst du es nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Christie. »Wofür ist das?« »Es ist da, damit Dinge einfach gut riechen.« Christie starrte zu ihr hoch. »Warum?« »Warum - warum, weil -«, Diana stockte. Sie sah sich außerstande, die Frage des kleinen Mädchens zu beantworten.
    Zum erstenmal sagte Edna Amber etwas. »Es ist dafür da, um schlechte Gerüche zu überdecken«, sagte sie. »Die von Häusern, die nicht ordentlich gereinigt worden sind, die von alten Leuten und von Kindern.« Sie erhob sich und ging, steif auf ihren Krückstock gestützt, aus dem Zimmer. Ein langes Schweigen entstand, bis sie gegangen war, und dann begann Christie zu weinen, denn sie begriff, daß die alte Frau sie nicht mochte. Wieder nahm Diana das kleine Mädchen in ihre Arme.
    »Ist ja alles gut«, flüsterte sie. »Alles wird gut werden. Ich werde deine Mutter sein und du wirst mein kleines Mädchen.«
    Die Worte wirkten auf Christie. Ihr Weinen versiegte und sie blickte Diana tief in die Augen.
    »Meine Mama ist vor langer Zeit gestorben«, sagte sie mit bebender Stimme.
    »Ich weiß«, erzählte Diana ihr. »Aber jetzt werde ich deine Mama sein.« Christies Gesichtsausdruck war unsicher, als sie Diana anschaute. »Versprichst du das?« sagte sie schließlich, und dabei zitterte ihre Stimme. »Ich verspreche es«, sagte Diana leise. Plötzlich brach das kleine Mädchen wieder in Tränen aus, aber diesmal schlang es seine Arme um Dianas Hals und drückte sie fest. Diana hob sie hoch, legte dann Christie behutsam auf das Sofa, setzte sich und wiegte den Kopf des Kindes in ihrem Schoß. Während Diana und Bill sprachen, ließ Christies Schluchzen nach, bis sie schließlich ganz ruhig dalag.
    »Ist mit ihr alles in Ordnung?« fragte Diana. Christie schien eingeschlafen zu sein.
    »Es wird schon«, versicherte ihr Bill. »Sie steht noch ein wenig unter Schock, aber ich möchte ihr lieber nichts geben. Jedesmal, wenn etwas geschieht, versuchen wir, dagegen etwas einzunehmen. Aber Kinder sind kräftig.« Er hielt inne, sah dann Diana an. »Diana, bist du sicher, daß das klug ist?«
    »Was?«
    »Sie zu nehmen. Offensichtlich ist Miß Edna nicht damit einverstanden.«
    »Ich bin eine erwachsene Frau, Bill«, sagte Diana. »Mutter trifft keine Entscheidungen mehr für mich.«
    Doch während sie sprach, sah Bill, daß Dianas Blicke durchs Zimmer wanderten, als ob sie ihre Mutter irgendwo zu sehen erwarte, die sie beobachtete, sie verspottete, ihr widersprach.
    Die sie beherrschte.
    Er war sich wohl bewußt, daß Diana alles war, was Edna Amber geblieben war. Und die bewachte ihre alternde Tochter wie eine Tigerin ihr Junges, schlich um sie herum und war ständig vor jeder Gefahr auf der Hut. Selbst Bill spürte noch nach all diesen Jahren, die er Edna Amber kannte, eine gewisse Scheu vor ihr. Sie strahlte eine Kraft aus, gegen die niemand in Amberton gefeit war, obwohl man sich zuweilen fragte, ob Miß Edna diese Kraft benutzte, um ihre Tochter zu beschützen oder nur sich selbst.
    Bill hatte Ednas Beschirmung besonders zu spüren bekommen: Es hatte eine Zeit gegeben, in der er Diana heiraten wollte. Wegen Diana war er mit neunundzwanzig, nachdem er sein Studium und seine Assistenzarztzeit beendet hatte, nach Amberton zurückgekehrt, um seine Praxis zu eröffnen. Er war zurückgekommen, weil er seit ihrer gemeinsamen Kindheit Diana geliebt hatte.
    Doch geschehen war nichts. Miß Edna, die ihm gegenüber immer höflich war und nie laut wurde, hatte dafür gesorgt.
    Für Miß Edna war Bill Henry nichts weiter als ein Junge aus der Stadt, der sich zu verbessern hoffte, indem er in die Gesellschaft einheiratete. Sie hatte Diana schließlich davon überzeugt, und jetzt, über zwanzig Jahre später, war seine Liebe zu einer Mischung aus Sympathie und Mitleid geschmolzen.
    »Was macht Miß Edna jetzt?«
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