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Wehe wenn der Wind weht

Wehe wenn der Wind weht

Titel: Wehe wenn der Wind weht
Autoren: John Saul
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hatten, so daß sie ihre Köpfe aus der Flut heben konnten, während das eisige Wasser ihre Körper erstarren ließ. Und da hofften sie auf Rettung. Eine Rettung, die es nicht gab.
    Der Druck des einströmenden Wassers preßte die Luftblasen zusammen, und für die Männer, die unter der Decke gefangen waren, begannen weitere Qualen. Ihre Ohren fingen an zu schmerzen, und sie schluckten immer wieder, um den Schmerz in ihren Köpfen zu lindern. Doch als immer mehr Wasser - Tonnen davon - in den von den Männern erstmals geschaffenen Schacht schoß, wurde der Druck größer; der Schmerz nahm zu. Einige von ihnen tauchten in die Tiefen des Wassers, arbeiteten sich dann wieder nach oben, krallten ihre Finger instinktiv in die Stollendecke, versuchten, einen Weg nach draußen zu finden, während sich ihre Lungen mit Wasser füllten. Doch bald ließ ihr Widerstand nach.
    Für die wenigen, die sich verbissen ans Leben klammerten, obwohl sie wußten, daß es vorbei war, hielt das Bergwerk eine letzte Tortur bereit.
    Der Wasserschwall versiegte, und plötzlich herrschte völlige Stille in der Dunkelheit.
    Jeder der Männer, nicht ahnend, daß er in seinem Todeskampf nicht allein war, begann in die plötzliche Stille zu lauschen.
    Keiner von ihnen wußte, wonach er eigentlich horchte.
    Nach Stimmen vielleicht.
    Nach Stimmen von Freunden, die um Hilfe riefen.
    Oder den Stimmen anderer, vielleicht von Rettungsmannschaften.
    Als das Geräusch kam, war es schwach. Zuerst ein fernes Murmeln, das lauter wurde und zu einem Chor von Stimmen anschwoll. Den Stimmen von Kindern, die in der Finsternis weinten. Nach ihren Müttern weinten. Ein einsames Klagelied von Verlassenheit.
    Die letzten Bergarbeiter begannen zu sterben, einer nach dem anderen. Draußen, vor dem Bergwerk, fiel die Dämmerung. Der Wind ließ nach. Als der Tag zu Ende ging, war alles vorbei.
    Alles, was schließlich von Stollen Vier übrigblieb, war der Klang der Kinderstimmen, die noch immer weinten, obwohl niemand mehr da war, der sie hören konnte.
    Unterhalb des Hügels, auf dem das Bergwerk stand, in einem einsamen, großen Haus am Rande des Tales, lag eine Frau in ihrem Bett, und ihr Körper wand sich unter Schmerzen.
    Sie ahnte, daß etwas passiert war, daß es einen Unfall im Bergwerk gegeben hatte. Und trotz ihrer qualvollen Wehen wußte sie, daß ihr Ehemann gestorben war.
    Als sich das Baby in ihr bewegte, strampelte, um auf die Welt zu kommen, lernte die Frau, was Haß bedeutete.
    Ihr Mann war tot, und ihr Leben war zu Ende.
    Sie hatte kein Kind gewollt, aber ihre Wünsche waren ihrem Mann völlig egal gewesen - er bestand darauf. Eine Zeitlang hatte sie ihn über den Zustand ihres Körpers täuschen können, doch es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie schwanger wurde.
    Und jetzt, während sie das winzige Geschenk gebar, das ihr Mann geliebt hätte, verließ er sie, hinterließ ihr nur dieses Baby und das Bergwerk, das ihn getötet hatte.
    Auch der Arzt hatte sie verlassen. Er hatte mit Nachdruck betont, daß er im Bergwerk gebraucht würde. Die Indianerin, die erst vor wenigen Tagen selbst ein Kind geboren hatte, war bestens dafür geeignet, sich um sie zu kümmern, hatte er gesagt. Aber alles, was die Indianerin getan hatte, war neben ihr zu sitzen und mit gutturaler Stimme vor sich hin zu murmeln, von dem Fluch, der auf diesem Tag lastete und von den Kindern, deren Weinen sie im Wind zu hören glaubte.
    Die Frau selbst konnte nichts hören.
    Draußen heulte der Wind durch die Espen, riß am Haus, rüttelte an den Fenstern und zerrte an den Dachschindeln.
    Drinnen schrie die Frau stumm, weil sie nicht wollte, daß die Indianerin die Wut und den Haß sehen konnte, die in ihr wuchsen.
    Als das Kind zur Welt kam und leise zu schreien begann, bekreuzigte sich die Indianerin so, wie es ihre Religion gebot, doch tief innerlich beschwor sie die uralten Geister ihres Volkes, dieses Kind zu beschützen, das an diesem unglückseligen Tag geboren worden war.
    Spät in dieser Nacht, während sich die Leute aus der Stadt vor dem Bergwerk versammelten, um ihre Toten zu beklagen, beklagte die Frau die Geburt ihres Kindes.
    Und die ganze Nacht hindurch, während der Wind von den Bergen blies, erfüllte das Weinen der Kinder die Tiefen des Bergwerks.
    Ein halbes Jahrhundert lang hörte sie niemand.

1
     
    esperanza rodriguez, deren dunkle Augen tief in ihrem zerfurchten Gesicht lagen, beobachtete stumm, wie Elliot Lyons Leichnam aus den Tiefen des Bergwerks nach
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