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Weg der Träume

Weg der Träume

Titel: Weg der Träume
Autoren: Nicholas Sparks
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ersten Weihnachtsmorgen nach ihrem Tod hatte er in der Kirche einen Hauch des Parfüms aufgefangen, das Missy immer benutzte, und noch lange nach dem Gottesdienst hatte er sich an den Schmerz geklammert wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring.
    Auch an anderes klammerte er sich. Als sie frisch verheiratet waren, gingen Missy und er oft ins Fred and Claras, ein kleines Restaurant nicht weit von der Bank, in der sie arbeitete. Es lag etwas abseits, und seine ruhige, gemütliche Atmosphäre gab ihnen beiden das Gefühl, dass sich nie etwas zwischen ihnen ändern würde. Seit Jonahs Geburt waren sie nicht mehr so häufig dort gewesen, aber nach Missys Tod nahm Miles die alte Gewohnheit wieder auf, als hoffe er, zwischen den getäfelten Holzwänden die Spuren der Gefühle von damals wieder zu finden. Auch zu Hause organisierte er sein Leben so, wie Missy es getan hatte. Weil Missy am Donnerstagabend im Supermarkt einkaufte, fuhr auch Miles donnerstags hin. Weil Missy Tomaten an der Hauswand zog, zog auch Miles sie dort. Wenn Missy Lysol für den besten Haushaltsreiniger hielt, gab es für Miles keinen Grund, einen anderen zu kaufen. Missy war immer gegenwärtig - bei allem, was er tat.
    Doch irgendwann im letzten Frühling hatte sich etwas geändert. Eine neue Empfindung überfiel Miles ohne Warnung, und er begriff bald, was mit ihm geschah. Als er in die Stadt fuhr, ertappte er sich dabei, wie er ein junges Paar anstarrte, das Hand in Hand den Gehweg entlangschlenderte. Und für einen Augenblick stellte Miles sich vor, er sei der Mann und die Frau gehöre zu ihm. Oder wenn nicht diese, dann eine andere… eine, die nicht nur ihn, sondern auch Jonah lieben würde. Eine, die ihn zum Lachen bringen würde, eine, mit der er sich bei einem geruhsamen Abendessen eine Flasche Wein teilen konnte, eine, die er berühren und umarmen konnte und mit der er sich flüsternd unterhalten würde, wenn das Licht gelöscht war. Jemand wie Missy, dachte er, und sofort beschwor ihr Bild Schuldgefühle herauf, durch die er sich wie ein Verräter fühlte und die ihn derart überwältigten, dass er das junge Paar für immer aus seinen Gedanken verbannte.
    Das glaubte er jedenfalls.
    Später in der Nacht, als er im Bett lag, musste er doch wieder an die beiden denken. Und obwohl ihn das schlechte Gewissen immer noch nicht ganz losließ, war es doch weniger stark als vorher. Und in diesem Augenblick wusste Miles, dass der erste Schritt getan war - wenn auch ein kleiner -, der letztlich dazu führen würde, dass er seinen Verlust überwand.
    Er begann, sich für sein neues Lebensgefühl zu rechtfertigen, indem er sich sagte, dass er schließlich Witwer sei, dass es natürlich sei, solche Gefühle zu haben, und dass niemand sie ihm verübeln würde. Niemand erwartete von ihm, dass er den Rest seines Lebens allein verbrachte. In den vergangenen Monaten hatten Freunde sogar angeboten, Verabredungen für ihn zu arrangieren. Missy hätte gewollt, dass er wieder heiratete. Das wusste er. Sie hatte es ihm mehr als einmal gesagt - wie die meisten Paare hatten auch sie das »Waswärewenn«-Spiel gespielt, und obwohl keiner von ihnen beiden die Katastrophe erwartet hatte, waren sie sich einig gewesen, dass es für Jonah nicht gut wäre, mit nur einem Elternteil aufzuwachsen. Es wäre demjenigen gegenüber, der überlebte, nicht fair. Trotzdem war es vielleicht noch ein wenig zu früh.
    Im Verlauf des Sommers tauchte die Frage, wie es wohl wäre, jemand Neuen zu finden, immer häufiger und intensiver in Miles Kopf auf. Missy war noch da, Missy würde immer da sein… aber Miles dachte immer ernsthafter darüber nach, wie er jemanden finden konnte, der sein Leben mit ihm teilen würde. Spätnachts, wenn er draußen im Schaukelstuhl saß und Jonah tröstete - das war das Einzige, was bei seinen Albträumen half -, waren diese Gedanken am stärksten und folgten immer demselben Muster. ›Ich könnte vermutlich jemanden finden‹ wurde zu ›ich würde vermutlich jemanden finden‹, gefolgt von der Überlegung, dass er vermutlich jemanden finden sollte. An diesem Punkt jedoch kehrte sich alles um zu vermutlich doch eher nicht s o sehr er sich auch das Gegenteil wünschte.
    Der Grund dafür befand sich in seinem Schlafzimmer.
    Auf dem Regal, in einem dicken, braunen Umschlag, lag die Akte über Missys Tod, die er in den Monaten nach der Beerdigung selbst zusammengestellt hatte. Er bewahrte sie auf, damit er nicht vergaß, was geschehen war, er bewahrte sie
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