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WattenMord (German Edition)

WattenMord (German Edition)

Titel: WattenMord (German Edition)
Autoren: Andreas Schmidt
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Job zu konzentrieren. Als Ausstellungsbetreuerin hatte sie die ehrenvolle Aufgabe, die Anlage „hochzufahren“, wie man den ersten Rundgang durch die Ausstellung intern nannte.
    Das Wetter war in der letzten halben Stunde umgeschlagen; dichte Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Der feine Sprühregen durchnässte ihr Haar und überzog Bekes Kleidung wie ein nasses Netz.
    Beke betrat das Wattforum durch den Diensteingang, der sich seitlich am Hauptgebäude befand. Nachdem sie sich an der elektronischen Stechuhr eingeloggt und ihre Arbeitszeit offiziell begonnen hatte, fand sie sich in einem Treppenhaus wieder. Steile Stufen führten nach oben. Rechts gab es eine Kaffeeküche. Beke streifte die Jacke ab und hängte sie an den Haken, bevor sie sich an der Kaffeemaschine zu schaffen machte. Als die Maschine ihr asthmatisches Röcheln von sich gab, verließ Beke den Raum und holte von nebenan einen Putzlappen aus einer kleinen Kammer. Hier hing auch ihre dunkelblaue Weste mit dem weißen Multimar-Logo auf der Brust. Sie schlüpfte hinein und setzte ihren Weg fort. Durch eine feuerfeste Tür gelangte sie in die eigentliche Ausstellung. In den Aquarien herrschte Dunkelheit; die Beleuchtung der Becken wurde jahreszeitabhängig über Zeitschaltuhren gesteuert. Erst gegen neun Uhr, wenn die ersten Besucher die Ausstellung betraten, würde die hier versammelte Unterwasserwelt zum Leben erwachen.
    Beke tauchte in die Fauna der Nordsee ein und ließ sich von dem hier herrschenden Dämmerlicht verzaubern. Die Meeres- und Wattbewohner schienen noch zu schlafen. Eine fast surreale Welt umgab sie, und Beke genoss den Augenblick der fast meditativen Stille hier unten. Sie liebte den Morgenrundgang, die Stunde der Einsamkeit, bevor die Besucher in das Zentrum stürmten und Kinderlachen und Stimmengewirr allgegenwärtig waren. Die junge Frau befreite die Scheiben der einzelnen Becken von Fingerabdrücken, die man auf den unbeleuchteten Aquarien gut erkennen konnte. Ab und zu huschten Schatten an ihr vorüber; Fische, die durch ihre Arbeit angelockt wurden.
    Das Walhaus wurde von der Nachbildung des achtzehn Meter langen Pottwals, der unter der hohen Decke zu schweben schien, beherrscht. Beke fand es ein wenig unheimlich, dass man den Meeresgiganten unter Verwendung eines echten Skeletts nachgebildet hatte. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass auch die kleinen Kabinen, in denen die Besucher den Walgesängen lauschen konnten, sauber waren, führte Bekes Weg sie zu ihrem persönlichen Highlight der Ausstellung: Dem Großbecken mit knapp dreihunderttausend Litern Wasser. Zweimal wöchentlich stieg ein Taucher ins Wasser, um die Fische vor den Augen der Zuschauer zu füttern. Der Raum vor dem großen Aquarium erinnerte dabei an einen Uni-Hörsaal: Stufenförmig waren Bänke angelegt worden, die den Besuchern ermöglichten, hier mit den Bewohnern der Nordsee auf Tuchfühlung zu gehen. Während das Forum tagsüber abgedunkelt war, brannte jetzt das Arbeitslicht. Von hier unten aus wirkte der hohe Raum fast zylindrisch. Bevor sie sich an das Reinigen der großen Scheibe machte, betrat sie einen kleinen Nebenraum, den sie „die Grotte“ nannte. Durch ein Seitenfenster konnten die Besucher in das nachgebildete Riff blicken. Durch unsichtbare Lautsprecher wurden sphärisch anmutende Klänge eingeblendet. Beke atmete tief durch, dann befreite sie das Fenster von Fingerabdrücken. Als ein Schatten, schnell wie ein Blitz, nur wenige Zentimeter jenseits der dicken Scheibe an ihr vorbeischoss, zuckte sie zurück. Um ein Haar hätte sie geschrien.
    „Mann, hast du mich erschreckt“, murmelte Beke, als sie im Dunkel des Beckens einen Stör erkennen konnte, der nervös seine Bahn durch das Wasser zog und sie bei der Arbeit zu beobachten schien. Nachdem sich Bekes Herzschlag normalisiert hatte, setzte sie ihre Arbeit fort und sorgte für Ordnung und Sauberkeit in dem kleinen Raum mit der niedrigen Decke. Sie bemerkte, dass sich noch nicht so viele Tiere an der Scheibe aufhielten, wie es sonst der Fall war, wenn sie morgens als Erste die Ausstellung besuchte.
    Beke umrundete die kleine Grotte und stand im Forum. Bei den Vorführungen fanden hier gut einhundertdreißig Personen Platz, um das einzigartige Unterwasser-Spektakel aus nächster Nähe beobachten zu können. Doch so hell erleuchtet hatte der Raum seinen fast mystischen Charme, den er bei Dunkelheit und beleuchtetem Aquarium besaß, verloren. Trotzdem genoss die junge Frau die
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