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Was geschah mit Angelika H.

Was geschah mit Angelika H.

Titel: Was geschah mit Angelika H.
Autoren: Thomas Ziegler
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Spazierstock gestützt, war der Alte eine Erscheinung, die man um Mitternacht auf dem Südfriedhof zu sehen erwartete, aber nicht im Café Regenbogen, wo jeder über Dreißig schon als Greis galt. Nur die Augen des alten Mannes hatten der Zeit widerstanden: sie waren grau und glänzend wie polierter Stein und doppelt so hart.
    »Ich bin dieser Markesch«, bestätigte Markesch. »Der Privatdetektiv.«
    Der Alte rückte einen Stuhl vom Tisch und ließ sich ächzend darauf nieder. Jede Bewegung schien ihm Mühe und Schmerzen zu bereiten, doch die Schmerzen erreichten nur sein Gesicht, nicht seine Augen.
    Es war, als wäre die Persönlichkeit hinter diesen Augen vom Körper getrennt, Gast in einer immer mehr zerfallenden Hülle, die nur noch durch reine Willenskraft am Leben erhalten wurde. Und von der modernen Medizin, fügte Markesch in Gedanken hinzu, als der Alte, kaum daß er saß, ein Pillendöschen aus der Tasche zog und Archimedes herrisch mit dem Spazierstock winkte.
    »Mineralwasser, junger Mann! Los, bewegen Sie sich, bewegen Sie sich und schlafen Sie unterwegs nicht ein!«
    Archimedes brachte das Wasser; der Alte schluckte zwei rosa Pillen und spülte sie mit kleinen Schlucken hinunter.
    Markesch nippte an seinem Whisky und wartete.
    »Gestatten, Hilling«, sagte der Alte übergangslos und neigte knapp den Kopf. »Anton Hilling, Oberst a.D. Ich brauche Ihre Hilfe. Es geht um meine Enkelin, Angelika Hilling. Sie ist verschwunden. Ich will, daß Sie sie suchen und zurück nach Hause bringen. Geld spielt keine Rolle.« Er warf einen prall gefüllten Briefumschlag auf den Tisch. »Ihr Vorschuß. Sechstausend in bar. Steuerfrei, wenn Sie wollen.« Er lachte, doch sein Lachen ging rasch in ein rasselndes Husten über. »Wenn Sie mehr brauchen, bekommen Sie mehr. Wie ich schon sagte, Geld spielt keine Rolle. Was zählt, ist der Erfolg.«
    Markesch nahm den Umschlag und sah flüchtig hinein. Der Anblick der Geldscheine versöhnte ihn auf der Stelle mit Hillings barschem Ton. Und mit diesen Augen, unter deren Blicken er sich wie eine Bakterie unter einem Mikroskop fühlte.
    »Zählen Sie nach, junger Mann«, forderte Hilling und klopfte mit dem Spazierstock auf den Boden. »Zählen Sie!«
    Markesch steckte den Briefumschlag ein. »Nicht nötig. Ich vertraue Ihnen.«
    »Vertrauen ist etwas für Idioten«, sagte der Alte verächtlich. »Aber wie Sie wollen. Sie nehmen den Auftrag an?«
    »Ich habe zwar noch einige andere Klienten, doch ich denke, daß …«
    »Vergessen Sie die anderen Klienten. Wenn Sie für mich arbeiten, dann arbeiten Sie nur für mich.« Er klopfte wieder mit dem Spazierstock auf den Boden. »Ich sagte bereits, Geld ist kein Problem. Sie werden noch mehr bekommen. Soviel, wie Sie brauchen. Aber ich erwarte dafür, daß Sie vierundzwanzig Stunden am Tag für mich tätig sind, und das sieben Tage die Woche. Und ich erwarte, daß Sie Erfolg haben – und zwar schnell.«
    »Erstens arbeite ich sowieso achtundvierzig Stunden am Tag, und das vierzehn Tage die Woche, und zweitens habe ich das Wort Mißerfolg schon vor Jahren aus meinem Vokabular gestrichen.«
    Hilling lachte, hustete, tupfte sich mit einem Seidentaschentuch Speichelflocken von den Lippen. Er atmete schwer. »Ich bin krank, wissen Sie. Die alten Knochen wollen nicht mehr. Ich habe genug Geld, aber was mir fehlt, ist die Zeit. Zeit ist das Kostbarste, was es auf dieser Welt gibt. Aber Sie sind noch zu jung. Sie verstehen das nicht.«
    Er versank in brütendes Schweigen.
    »Seit wann ist Ihre Enkelin verschwunden?« fragte Markesch sachlich.
    »Seit etwa zwei Monaten. Nach einem Streit.« Der Alte kniff die Lippen zusammen. »In der letzten Zeit hatten wir ständig Streit. Die Unvernunft der jungen Leute, wissen Sie, der Leichtsinn, die Flausen … aber das tut hier nichts zur Sache. Angelika verließ das Haus, und seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört oder gesehen.« Und dann, fast pflichtschuldig, fügte er hinzu: »Ich mache mir Sorgen. Meine Enkelin ist labil, wenn Sie wissen, was ich meine. Was sie braucht, ist Disziplin, eine harte Hand. Sie hat früher schon ständig Schwierigkeiten gemacht, aber seit dem Tod ihrer Eltern ist es noch schlimmer geworden.«
    Bekräftigend klopfte er mit dem Stock auf den Boden.
    »Sie war eine Zeitlang in psychiatrischer Behandlung. Bei Doktor Roth. Ein tüchtiger Mann, ein Freund der Familie. Er hat gute Arbeit geleistet. Dachte ich. Aber warum erzähle ich Ihnen das? Es dürfte Ihnen bei der
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