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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
Autoren: Louise Doughty
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dass aus mir mal eine Krankenschwester werden würde. Unsere Nachbarn, die Coultons, schauten regelmäßig vorbei. Dann trampelte Mr. Coulton in seinen klobigen Schuhen mit offenen Schnürsenkeln und Zementflecken durchs ganze Haus bis zur Hintertür, um unser winziges Rasenquadrat zu mähen. Die Steckdose dafür in der Küche zu finden, dauerte bei ihm länger als das Mähen. Sie hatten zehnjährige Zwillingssöhne. Immer wenn es schneite, erschienen die Jungs mit Schaufeln an unserer Tür. »Mum hat gesagt, wir soll’n hier Schnee schippen«, verkündete einer von beiden mürrisch.
    Ich wusste, dass Dankbarkeit von mir erwartet wurde, obwohl mir herzlich gleichgültig war, ob Schnee auf unserem Weg lag – früher oder später würde der ja wohl von allein schmelzen –, und was mich anging, konnte der Garten ruhig verwildern.
    »Na, dann wird aus dir ja sicher mal eine Krankenschwester«, stellte Mrs. Coulton eines Tages im Gehen fest. »Was für ein liebes Mädchen. So tapfer.«
    Im Jahr, als ich meinen Mittleren Schulabschluss machte, hatte ich einen Termin bei der schulischen Berufsberaterin. Obwohl sie nichts über meine Mutter wusste, kam sie zu meiner grenzenlosen Empörung zu genau dem gleichen Schluss. »Du magst Sprachen und Kunst, aber, und das ist prima, Biologie gefällt dir auch …«, sagte sie mit einem Blick auf das von mir ausgefüllte Formular.
    »Ich zeichne gern Schaubilder. Die Pflanzen. Und Herzkammern«, antwortete ich, nichts Gutes ahnend. »Das Herz kann ich gut. Rechte und linke Herzkammer. Aber das ist nur, weil ich gut zeichnen kann. Vielleicht könnte ich später Künstlerin werden.«
    »Hast du schon mal an Krankenpflege gedacht?«, fragte sie und rieb sich mit dem Finger über einen Nasenflügel.
    Am liebsten hätte ich sie gebissen. »Wenn überhaupt ein Beruf aus diesem Bereich für mich in Frage käme«, antwortete ich großspurig, »dann möchte ich mich – spezialisieren.« Ich zermarterte mir das Hirn auf der Suche nach einem Spezialgebiet, einem, das sich lang und kompliziert anhörte. »Physiotherapie«, sagte ich. Ich hatte Psychiatrie sagen wollen, aber Physiotherapie hatte mehr Silben.
    Die Berufsberaterin machte ein glucksendes Geräusch hinten in der Kehle, etwas zwischen Husten und Schlucken. Um den Hals trug sie einen Kuli am Band, der bei jedem spöttischen Hüsteln hopste. »Physiotherapie ist nicht bloß Massage, weißt du, Lorna. Heutzutage geht es da hoch wissenschaftlich zu. Ein Studienplatz ist genauso schwer zu bekommen wie für Medizin, manche sagen, sogar noch schwerer, und es ist sehr schwer, hinterher eine Stelle zu finden; aber gute Krankenschwestern werden immer gebraucht, nicht wahr, Lisa?« Sie strahlte mich an.
    Sie sind ja nicht mal eine richtige Lehrerin! , hätte ich sie gern angebrüllt. Für wen zum Teufel halten Sie sich? Stattdessen gab ich das Lächeln zurück.
    Krankenschwester?! Begriffen diese Leute denn nicht, dass ich eine Intellektuelle war? Was genau konnten sie an meiner momentanen Situation finden, das mich zu dem Wunsch verleiten sollte, den Rest meines Lebens darin auszuharren? In meinem Mittleren Schulabschluss hatte ich Einsen in den naturwissenschaftlichen Fächern und Zweien in fast allen sprachlich-künstlerischen. Verschlechtert hatte ich mich nur mit einer Fünf in Erdkunde. Darauf war ich stolz, wild entschlossen, entweder zu glänzen oder ein Rohrkrepierer zu sein, wie eine Feuerwerksrakete. Krankenschwester? Konnten sie sich nicht vorstellen, dass es mir schon als Schülerin zum Hals heraushing, Einweghandschuhe zu tragen? T. S. Eliot , sagte ich mir jedes Mal auf, wenn ich einen der Coultons an unserem Erkerfenster vorübergehen sah. Wird niemand mich von diesem lästigen Prälaten befreien? Fotosynthese. Das Große Reformgesetz von 1832 . Meine Wissensschnipsel waren wie Zutaten zu einem Hexentrank, ein Zauber, der mich abschirmte vor den Coultons, den Hausbesuchen der Gesundheitsbehörde und der auf mir lastenden Befürchtung, in was mich die Krankheit meiner Mutter verwandeln würde: ein braves Mädchen, ein Engelchen, eine mit Geduld und Verständnis Gewappnete, die ihre eigenen Bedürfnisse so erfolgreich hintanstellte, dass sie zu einem farblosen Schatten ihrer selbst mutierte, der sich für andere aufopferte.
    In dem Versuch, verrucht zu sein, probierte ich es mit Rauchen, stand eines Abends, nachdem ich meine Mutter ins Bett gebracht hatte, im Garten, paffte aber zu viele Silk Cuts am Stück und musste mich ins
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