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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen
Autoren: Laura Lippman
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war über irgendetwas ziemlich sauer, für ihn nichts Neues. Er wusste nicht mehr so genau, wie sie hieß, obwohl er sicher war, dass es ihm gleich einfallen würde. Auch dies nichts Neues.
    Nein, es lag an der Kombination – eine fremde Frau und der böse Blick -, die diesen Morgen einzigartig machte. Er würde, wie sein Vorgesetzter so gern sagte, bestimmt in die Annalen des Infante eingehen, wobei sein Chef jedes Mal das Wort mit einem gedehnten a aussprach. Wenn Infante diese Frau nur flüchtig kannte, womit hatte er sich dann diesen hasserfüllten Blick eingehandelt? Normalerweise brauchte es drei bis vier Monate, bis eine Frau derart gereizt reagierte.
    »Ist das dein Handy?«, fragte die Frau noch einmal, ihre Stimme so angespannt und bedrohlich wie ihre Miene.
    »Ja«, antwortete er, erleichtert, dass es mit einer einfach zu beantwortenden Frage losging. »Stimmt.«
    Er wollte nach dem Handy suchen und vielleicht sogar drangehen, aber das Klingeln hatte bereits wieder aufgehört. Gleich würde der Festnetzapparat läuten. Dann fiel ihm ein, dass er sich nicht in seinem eigenen Schlafzimmer befand. Er tastete mit der Linken den Boden ab, der rechte Arm klemmte noch unter der Frau, und tastete nach seiner Hose mit dem Handy am Gürtelclip. Noch während er danach griff, vibrierte das Telefon in seiner Hand und piepte schrill, als wolle es ihn ebenso verärgert beschimpfen.

    »Nur die Arbeit«, sagte er mit einem Blick auf die Nummer.
    »Ein Notfall?«, fragte die Frau, und wenn er etwas fitter gewesen wäre, hätte er gelogen und gesagt: Ja, genau, wäre in die Klamotten gestiegen und abgehauen.
    Immer noch schlaftrunken sagte er stattdessen: »In meinem Bereich gibt es keine Notfälle.«
    »Ich dachte, du wärst ein Bulle. « Er vernahm die aufbrandende Wut am Rande ihrer Worte, den angestauten Groll.
    »Detective.«
    »Das ist doch das Gleiche, oder?«
    »So ziemlich.«
    »Also, bei Bullen gibt’s doch Notfälle, oder?«
    »Rund um die Uhr.« Und dies hier wäre einer. »Aber bei meiner Arbeit …« Er konnte sich gerade noch bremsen, sich als einer vom Morddezernat auszugeben, weil er befürchtete, sie könne das zu spannend finden und ihn wiedersehen, eine Beziehung aufbauen wollen. Es gab eine ganze Menge Frauen, die Cops heiß fanden, eine Tatsache, für die er normalerweise dankbar war. »Die Leute, mit denen ich zu tun habe, haben viel Zeit.«
    »Machst du Schreibtischdienst?«
    »So kann man es nennen.« Er hatte einen Schreibtisch, und er hatte Dienst. Manchmal verbrachte er seinen Dienst am Schreibtisch. »Debbie«, er versuchte nicht allzu viel Stolz mitklingen zu lassen, dass ihm ihr Name wieder eingefallen war. »So kann man es nennen, Debbie .«
    Sein Blick wanderte durchs Zimmer, auf der Suche nach einer Uhr, aber auch, um sich im Raum umzusehen. Natürlich ein Schlafzimmer und dazu noch ein ganz nettes, mit Blumenkunstdrucken und dem, was seine jüngste Exfrau als farblich abgestimmtes Raumkonzept bezeichnet hatte. Ein Konzept war wohl etwas Gutes, für Infante klang es jedoch immer nach Komplott, nach einem ausgeklügelten Plan, mit etwas ungestraft zu entkommen. Aber ein farblich abgestimmtes
Raumkonzept war ja auch so etwas wie eine Falle, wenn man mal darüber nachdachte; es begann mit einem viel zu teuren Ring, Möbelkäufen auf Kredit bei Shofer’s und einer Hypothek aufs Haus und endete dann – seiner Erfahrung nach bereits zweimal – im Gerichtssaal, wo der Frau alle Habe zugesprochen wurde und dem Mann sämtliche Schulden. Bei Debbie war die Farbgebung blassgelb und grün, daran war eigentlich nichts auszusetzen, außer dass ihm bei diesen Farben leicht übel wurde. Während er seine Sachen von den ihren trennte, fielen ihm noch andere Dinge auf; der eingebaute Schreibtisch unter dem Flügelfenster, der sperrige Minikühlschrank, der mit einem Tuch abgehängt war, eine kleine Mikrowelle darauf, der Wimpel über dem Schreibtisch, der die Towson Wildcats feierte … Verdammter Mist , dachte er, verdammt noch mal .
    »Na«, sagte er. »Was ist denn dein Hauptfach?«
    Das Mädchen – sie war wirklich noch ganz jung, wahrscheinlich noch keine einundzwanzig – warf ihm einen eiskalten Blick zu, kletterte über ihn hinweg und wickelte sich dabei in das grüngelbe Laken. Betont geziert zog sie einen flauschigen Bademantel vom Haken, drapierte ihn um sich und ließ das Laken erst fallen, nachdem sie den Gürtel zugezogen hatte. Er erhaschte dennoch einen Blick und wusste dann wieder,
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