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Was der Winter verschwieg (German Edition)

Was der Winter verschwieg (German Edition)

Titel: Was der Winter verschwieg (German Edition)
Autoren: Susan Wiggs
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dass in ihrem Bein ein sichelförmiger Schnitt klaffte. Sie musste es sich an irgendetwas unterhalb des Armaturenbretts aufgeschnitten haben. „Sie haben hier einen Schnitt direkt über dem Knie.“ Die Verletzung musste höllisch wehtun. „Das muss genäht werden“, sagte er.
    „Können Sie das machen?“
    „Ich bin kein Schönheitschirurg. Was auch immer ich tue, wird eine Narbe hinterlassen.“
    „Können Sie dann die Blutung stoppen, damit ich mir morgen einen Chirurgen suchen kann?“
    „So lange kann das nicht warten. Das Infektionsrisiko ist zu hoch. Ärzte sagen, man sollte mit dem Nähen maximal sieben Stunden warten. Bis dahin werden die Straßen immer noch unpassierbar sein.“
    „Dann nähen Sie es. Ich werde es schon überleben, eine Narbe zurückzubehalten.“
    Für eine Frau, die so gut aussah, war das eine unerwartete Reaktion. „Okay. Ich kann die Stelle betäuben … die Wunde muss vermutlich mit einem Dutzend Stichen genäht werden. Wenn ich sie ganz klein mache, wird die Narbe später kaum zu sehen sein.“ Er überlegte, ob er ihr ein Beruhigungsmittel anbieten sollte, war sich aber bezüglich der Dosierung nicht sicher. Sie wog vermutlich ungefähr so viel wie ein Rottweiler, also sollten 80 mg reichen. Andererseits vielleicht auch nicht. Besser, er hielt sich an die örtliche Betäubung.
    „Ja, ein bisschen Novocain wäre nicht verkehrt“, sagte sie.
    „Es ist ein einprozentiges Lidocain.“ Und er hoffte, dass er nicht zu viel genommen hatte. Es war seltsam, eine Patientin zu haben, die nicht festgehalten werden musste. Er injizierte das Betäubungsmittel. Die Frau zuckte nicht einmal.
    „In wenigen Minuten wird es taub.“
    „Das hoffe ich sehr.“ Sie nahm den Arm von den Augen, drehte den Kopf und schaute auf die Arbeitsfläche. „Wenn ich ganz tapfer bin, bekomme ich dann einen Keks aus dem Glas dort?“
    „Sie können so viele Kekse haben, wie Sie mögen.“ Er schnitt die sterile Verpackung des Nähsets auf. „Sie verleihen frischen Atem und machen Ihre Zähne weißer.“
    „Das kann uns allen nicht schaden“, murmelte sie.
    Er wechselte die Handschuhe und fing an, die Wunde für das Nähen zu reinigen. Viele Tiere besaßen eine Haut, die wesentlich empfindlicher war als die des Menschen. Er wählte einen 3-0-Nylonfaden mit einer Hautnadel – die Standardausrüstung für das Vernähen von äußeren Wunden bei Pferden.
    Nachdem er seine Lupenbrille aufgesetzt und sich das Licht eingerichtet hatte, machte er sich so präzise wie möglich an die Arbeit, um keine reißverschlussartige Narbe auf ihrer zarten Haut zu hinterlassen. Er spürte, dass sie wieder anfing zu zittern, und fragte sich, ob er ein wenig Small Talk betreiben sollte, um ihre Nerven zu beruhigen und sie zum Stillhalten zu bringen. Bei seinen üblichen Patienten reichten meist ein paar mitfühlende Zungenschnalzer.
    „Ich habe Ihren Namen gar nicht verstanden“, fing er eine Unterhaltung an.
    „Sophie. Sophie Bellamy.“
    „Irgendwie verwandt mit den Bellamys, denen das Resort oben am Ende des Sees gehört?“
    „Auf gewisse Weise schon. Ich war mit Greg Bellamy verheiratet. Wir sind inzwischen aber geschieden.“
    Aber sie trug immer noch seinen Nachnamen, wie Noah auffiel.
    „Meine beiden Kinder leben hier in Avalon“, fuhr sie fort.
    Das erklärte vermutlich die Namenswahl. Was es allerdings nicht erklärte, war, warum die Kinder nicht bei ihr lebten. Noah erinnerte sich daran, dass ihn das nichts anging. Menschen waren kompliziert und hatten eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen und Problemen. Sie waren eine Rasse, bei der nichts einfach war. Er fand die Arbeit mit den Tieren wesentlich unkomplizierter. Sich mit Menschen zu beschäftigen, war, wie ein Minenfeld zu überqueren. Man wusste nie, wann etwas explodieren würde.
    Small Talk, dachte er. Lenk sie mit Small Talk ab. „Also sind Sie auf Besuch hier? Oder kommen Sie gerade von einer Reise zurück?“
    Sie schwieg einen Moment, als überlege sie, was sie sagen sollte. Was seltsam war, denn es hatte sich ja nicht um eine sonderlich komplizierte Frage gehandelt. Schließlich antwortete sie: „Ich bin heute Nachmittag auf dem JFK-Flughafen gelandet. Wegen des Wetters gab es keine Weiterflüge zum Kingston-Ulster Airport, deshalb habe ich mir ein Auto gemietet und bin gefahren. Ich schätze, ich hätte auch den Zug nehmen können, aber ich konnte es kaum erwarten, endlich hier anzukommen.“
    Von wo war sie auf dem JFK gelandet? Noah
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