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Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Titel: Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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gewerkschaftlich gebildeten und disziplinierten deutschen Arbeitern bei: »Diese Arbeiterschaft, zusammengebunden mit unseren geschulten Unternehmern, mit unseren Syndikatsleitern, mit unseren Geheimräten und Offizieren, ergibt nicht die anmutigste und amüsanteste Gesellschaft, die es geben kann, aber die wirksamste, sicherste, ausdauerndste menschliche Maschinerie. Diese lebendige Volksmaschine geht ihren Gang, ob der Einzelmensch lebt oder stirbt, sie ist unpersönlich oder überpersönlich, hat ihre Reibungen und Störungen, ist aber als Ganzes etwas, was gerade vorher nie vorhanden sein konnte, unser geschichtlich gewordener Charakter.« So wuchs, wie der Autor freudig beobachtete, im Krieg »von allen Seiten der Staats- und Nationalsozialismus«. [201]
    Dreizehn Jahre später, 1928, schrieb Hitler sein »Zweites Buch«, das damals aus taktischer Vorsicht unveröffentlicht blieb. Es handelt von der Außenpolitik und von einem künftigen, unter deutscher Vorherrschaft umzugestaltenden Europa. Zentrale Gedanken hatte sich Hitler bei Naumann abgeschaut und einige Exkurse zum Rassengedanken, zur Zukunft des Automobilbaus und der neuentstehenden Großmacht USA hinzugefügt. [202]
    Friedrich Naumann rückte die deutschen Liberalen zum einen nach rechts, indem er sie zu Vorkämpfern des Imperialismus machte, gleichzeitig aber rückte er sie nach links: Er warb dafür, die Ideen der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit zugunsten des nationalsozialen Kollektivismus zu relativieren. Naumann kann nicht als Vordenker von Hitlers Antisemitismus gelten; aber er vermengte soziale, imperiale und nationale Gedanken zu einer geschlossenen Geistesströmung, die sich am Ende mit dem Gedankengut der NSDAP vermischen konnte.
    Die von Naumann 1919 mitgegründete Deutsche Demokratische Partei gab sich 1930 den Namen Deutsche Staatspartei, nachdem sie mit der antisemitischen Volksnationalen Reichsvereinigung zusammengegangen war. Nach den Märzwahlen 1933 verfügte sie noch über fünf Reichstagsabgeordnete, darunter Theodor Heuss und Ernst Lemmer. Alle fünf stimmten am 24. März für das Ermächtigungsgesetz, das der neuernannte Reichskanzler Hitler eingebracht hatte. Für die Staatspartei erklärte der spätere baden-württembergische Ministerpräsident Reinhold Maier im Plenum, warum er und seine Fraktionsgenossen, trotz einiger Bedenken, mit Ja votieren würden: »Wir fühlen uns in den großen nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler hier vorgetragen wurde.« [203]

Prognosen: Moskau, Wien, München
    Im 20. Jahrhundert entstanden große, im Namen von Gleichheit und Gemeinschaft verfolgte, bald schon gewalttätige Utopien. Nicht wenige Schriftsteller reagierten darauf mit überschwänglichen, andere mit höchst skeptischen Prophetien. Ich greife drei heraus, die mir für die Wünsche nach sozialer Homogenität und Rassenreinheit und für das Entstehen einer neuen Moral zur Vernichtung von Abweichlern aussagekräftig erscheinen: In dem Roman »Wir«, geschrieben in Moskau 1920 und dort nicht gedruckt, denkt der Autor Jewgenij Samjatin die gleichmacherischen Träume der bolschewistischen Revolution zu Ende; Hugo Bettauers Roman »Die Stadt ohne Juden« entstand 1922 in Wien; die Novelle »Der jüdische Gerichtsvollzieher« schrieb Siegfried Lichtenstaedter 1926 in München.
    Samjatins Parabel »Wir« reflektiert den terroristischen Siegeszug des Egalitarismus, der dahin führt, dass alle Ungleichen ausgesondert, Menschlichkeit und Menschen im Namen von Gleichheit und Gerechtigkeit zerstört werden. In schrillen Farben entwirft der Autor, von Beruf Ingenieur, das Bild einer sozialtechnisch vollkommen durchorganisierten Gesellschaft, die individuelle Freiheit verteufelt und das Gemeinschaftliche vergottet. Nachdem Samjatin aktiv am bolschewistischen Umsturz teilgenommen hatte, enttäuschte ihn sehr bald die Art, wie seine revolutionären Hoffnungen realisiert wurden. In England und Frankreich erschien »Wir« 1924/25, in der Sowjetunion 1988. [283]
    Im totalitären Sonnenstaat Samjatins, genannt der Einzige Staat, werden alle Menschen zu uniformierten, als Nummern bezeichneten Wesen. Der Held hört auf D-503. Privatbesitz, Nikotin und Alkohol, Gefühle wie Neid irritieren die Nummern kaum mehr. Selbstverständlich gilt es, Liebe, Leidenschaft und Eifersucht zu unterbinden. Eine Zuteilungszentrale reguliert das zeitlich und personell exakt bestimmte Ausmaß möglichst
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