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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Autoren: Henning Mankell
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frühen siebziger Jahren heftige Vorwürfe gemacht hatte, weil er es nicht der Mühe wert gefunden hatte, bei der Wahl seine Stimme abzugeben. Wallander konnte sich noch gut an die Wut seines Vaters erinnern, wie er ihn einen »Politikmuffel« genannt, mit einem Pinsel nach ihm geworfen und ihn aufgefordert hatte, zu verschwinden. Was er natürlich auch getan hatte. Damals hatte er seinen Vater allenfalls komischgefunden. Warum sollte er sich damit beschäftigen, worüber die schwedischen Politiker sich stritten? Ihn interessierte höchstens die Frage, ob die Steuern sanken und die Löhne stiegen.
    Oft saß er am Küchentisch und grübelte darüber nach, ob seine nächsten Freunde genauso waren wie er selbst. Politisch uninteressiert, nur mit ihren privaten Angelegenheiten befasst. Wenn überhaupt über Politik gesprochen wurde, war es eher eine wenig fundierte Art und Weise, Politiker zu zerpflücken, sich über ihre idiotischen Entscheidungen zu erregen, aber dann nicht weiter zu fragen, wie die Alternativen ausgesehen hätten.
    Es hatte eigentlich nur eine kurze Periode gegeben, in der er ernsthaft über den politischen Zustand in Schweden, Europa und vielleicht in der Welt nachgedacht hatte. Es war vor bald zwanzig Jahren gewesen, im Zusammenhang mit dem brutalen Doppelmord an einem älteren Landwirtspaar in Lenarp. Es hatte sich gezeigt, wie schnell man illegale Einwanderer oder Asyl suchende Flüchtlinge verdächtigen konnte. Wallander hatte damals seine eigenen Ansichten über die massive Einwanderung nach Schweden überprüft. Er hatte zugeben müssen, dass sich unter seiner freundlichen und toleranten Oberfläche dunkle, vielleicht rassistische Ansichten verbargen. Das hatte ihn erschreckt. Er hatte sie ausgemerzt, heute waren sie nicht mehr vorhanden. Aber nach jener Ermittlung, die ihre merkwürdige Lösung auf dem Jahrmarkt von Kivik gefunden hatte, wo man die beiden Mörder gefasst hatte, war er wieder in seine apathische Haltung gegenüber der Politik zurückgefallen.
    Im Lauf des Herbstes besuchte er mehrfach die Bibliothek in Ystad und entlieh Bücher über die schwedische Nachkriegsgeschichte. Er las über die politischen Debatten, die darüber geführt worden waren, ob Schweden Atomwaffen haben oder Mitglied in der Nato werden sollte. Obwohl er im frühen Erwachsenenalter gewesen war, als dieseDebatten geführt wurden, hatte er keine Erinnerung daran, wie er reagiert hatte. Als hätte er in einer Glaskugel gelebt.
     
    Eines Tages erzählte er Linda davon, wie er begonnen hatte, sein Leben zu betrachten. Es zeigte sich, dass sie sich in ganz anderer Weise für politische Fragen interessierte. Er wunderte sich, weil es ihm bisher nicht aufgefallen war.
    Sie hatte nur geantwortet, dass das politische Bewusstsein der Menschen sich nicht immer an der Oberfläche zeige. »Wann hast du mir zuletzt eine politische Frage gestellt?«, sagte sie. »Warum sollte ich mit dir über Politik diskutieren, wo ich weiß, wie wenig du dich dafür interessierst?«
    »Was sagt Hans?«
    »Er weiß enorm viel über die Welt. Aber wir sind uns nicht immer einig.«
    Wallanders Gedanken kamen oft gerade bei Hans ins Stocken. Im Spätherbst 2008, Mitte Oktober, hatte Linda ihn völlig aufgelöst angerufen und erzählt, die dänische Polizei habe in Hans’ Büro in Kopenhagen eine Razzia durchgeführt. Einige der Finanzmakler, vor allem zwei Isländer, steckten hinter falschen Wertsteigerungen bei Aktien, um ihre eigenen Provisionen und Boni zu sichern. Als die Finanzkrise kam, platzte die Blase. Vorübergehend standen alle Mitarbeiter, auch Hans, im Verdacht, in die Angelegenheit verwickelt zu sein. Erst im März hatte Hans den Bescheid erhalten, dass er nicht mehr verdächtigt werde, Unregelmäßigkeiten begangen zu haben. Es war für ihn eine schwere Belastung gewesen, da er außerdem die Trauer über den Tod auch des zweiten Elternteils verarbeiten musste. Mehrmals hatte er Wallander aufgesucht und ihn gebeten, ihm zu erklären, was eigentlich geschehen war. Wallander hatte gesagt, was er sagen konnte, scheute jedoch davor zurück, die wahren Hintergründe auch nur anzudeuten.
     
    Wallander fragte sich vor allem, wie er es anstellen sollte, damit die Zusammenfassung seiner Gedanken und des Wissens, über das er verfügte, die Öffentlichkeit erreichte. Sollte er das Material vielleicht anonym den Behörden übermitteln? Doch würde ihn jemand ernst nehmen? Wer hatte ein Interesse, dass die guten Beziehungen zwischen
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