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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Autoren: Henning Mankell
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Spekulationen. Man hatte sich in dem blutigen Drama in der Jagdhütte gesuhlt. Linda, Hans und Klara hatten kaum noch gewagt, ihr Haus zu verlassen, um den neugierigen Journalisten mit ihren aufdringlichen Fragen nicht in die Arme zu laufen. Die wildesten Verschwörungstheorien besagten, dass Håkan von Enke und Sten Nordlander ein Geheimnis mit ins Grab genommen hatten, das mit dem Mord an Olof Palme zusammenhing.
     
    Während der Gespräche mit Ytterberg hatte Wallander hin und wieder vorsichtig und eher wie aus Höflichkeit gefragt, wie es um den Verdacht stehe, Louise von Enke sei eine Spionin für Russland gewesen.
    Ytterberg hatte ihm nur äußerst knappe Antworten geben können. »Ich habe den Eindruck, dass in Bezug auf sie alles stillsteht«, antwortete er. »Ich habe keine Ahnung, nach welcher Wahrheit die Sicherheitspolizei sucht oder was sie verbergen will. Möglicherweise müssen wir so lange warten, bis ein Enthüllungsjournalist sich diese Geschichte vornimmt.«
    Nie hörte Wallander ein einziges Wort darüber, dass Håkan von Enke für die USA spioniert haben sollte. Es gab keinen Verdacht, keine Gerüchte, keinen Gedanken daran, dassdies die Ursache für das Geschehene sein konnte. Bei einer Gelegenheit fragte er Ytterberg geradeheraus, ob es derartige Theorien gebe.
    Ytterberg hatte völlig verständnislos reagiert. »Warum in Gottes Namen hätte er für die USA spionieren sollen?«
    »Ich versuche, alles, was geschehen ist, zu drehen und zu wenden«, sagte Wallander. »Genau wie man Louise der Spionage für Russland verdächtigt hatte, könnte man sich eine ganz andere Möglichkeit vorstellen.«
    »Ich glaube, es wäre sogar bis zu mir durchgesickert, wenn die Sicherheitspolizei oder das Militär etwas Derartiges vermuteten.«
    »Ich denke nur laut«, hatte Wallander ausweichend geantwortet.
    »Weißt du etwas, was ich nicht weiß?«, fragte Ytterberg plötzlich mit unerwarteter Schärfe.
    »Nein«, sagte Wallander. »Ich weiß nichts, was du nicht weißt.«
     
    Nach diesem Telefongespräch hatte er angefangen zu schreiben. Er sammelte seine Notizen zusammen und entwickelte ein System von Merkzetteln, die er an eine Wohnzimmerwand heftete. Aber jedes Mal, wenn Linda ihn besuchte, sei es mit Hans und Klara oder allein, nahm er sie ab. Er wollte seinen Bericht ohne die Einmischung anderer schreiben, ja, ohne dass überhaupt jemand ahnte, womit er sich beschäftigte.
    Er begann damit, die losen Fäden zu bearbeiten, die er noch im Korb hatte. Einige ließen sich schnell von der Liste streichen. Dass »USG Enterprises«, wie er an George Talboths Tür gelesen hatte, der Name einer Beratungsfirma war, ließ sich leicht herausfinden. Nichts deutete darauf hin, dass es keine ehrenwerte Gesellschaft war. Aber wer in sein Haus eingebrochen war, konnte er nie beantworten, ebenso wenig die Frage, wer den Niklasgård besucht hatte. Dass essich um Menschen handelte, die Håkan von Enke zuarbeiteten, war selbstverständlich. Aber was mit den Aktionen bezweckt worden war, wurde Wallander nie klar. Auch wenn es am wahrscheinlichsten war, dass man nach der Mappe gesucht hatte, die Wallander Signes Buch nannte. Jetzt lag sie auf seinem Tisch, während er schrieb. Aber wenn er wegging, versteckte er sie noch immer in Jussis Zwinger.
    Es dauerte nicht lange, bis ihm klar wurde, was er da eigentlich tat. Er schrieb in ebenso hohem Maß über sich selbst wie über Håkan von Enke. Als er in Gedanken zurückkehrte zu dem, was er über den Kalten Krieg gehört hatte, über die zwiespältige Sicht des schwedischen Militärs in Bezug auf Neutralität und die Freiheit von Allianzen oder die Notwendigkeit, in die Nato integriert zu werden, erkannte er, wie wenig er über die Welt wusste, in der er gelebt hatte. Natürlich war es unmöglich, sich im Nachhinein all das Wissen zu verschaffen, das ihn vorher nicht interessiert hatte. Was er jetzt über diese Welt lernen konnte, war nur noch aus der Rückschau möglich. Er fragte sich bedrückt, ob dies nicht seine ganze Generation kennzeichnete. Der mangelnde Wille, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, mit den politischen Verhältnissen, die ständig wechselten. Oder war seine Generation geteilt gewesen? In die Engagierten und die Gleichgültigen?
    Jetzt sah er, dass sein Vater über so manches besser informiert gewesen war als er selbst. Das galt nicht nur für die Episode mit Tage Erlander im Folkets Park von Malmö. Er erinnerte sich auch, dass sein Vater ihm in den
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