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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Autoren: Henning Mankell
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wurde, verließ er den Strand und suchte sich ein geschütztes Plätzchen hinter den Dünen. Er holte die belegten Brote und die Thermosflasche hervor und setzte sich auf die Plastiktüte, um den kalten Sand nicht so zu spüren. Während er aß, versuchte er, nicht an seine Zukunft zu denken, was ihm allerdings selten gelang. Das Bemühen um realistische |23| Gedankengänge wurde immer wieder durch Wunschträume gestört.
    Wie andere Polizisten auch, ließ er sich manchmal zu der Vorstellung hinreißen, die Seiten zu wechseln und Verbrechen zu begehen. Es hatte ihn oft gewundert, daß Polizisten, die straffällig geworden waren, ihr Fachwissen über die elementarsten Ermittlungsmethoden so schlecht nutzten und kaum je einer Verhaftung entgingen. Ab und zu also spielte er in Gedanken verschiedene illegale Möglichkeiten durch, reich und unabhängig zu werden. Aber es dauerte meist nicht lange, bis er solche Träume angeekelt zerschlug. Keinesfalls wollte er seinem Kollegen Hansson nacheifern, der einen großen Teil seiner Energie daran verschwendete, wie besessen auf Pferde zu setzen, die fast nie gewannen. Das empfand er als Armutszeugnis, das er sich nicht ausstellen wollte.
    Dann nahm er seine Strandwanderung wieder auf. Seine Gedanken schienen sich im Dreieck zu bewegen. Er landete immer wieder in der Ecke mit der Frage, ob es nicht doch am besten wäre, seine Arbeit als Polizist wiederaufzunehmen. Zurückzukehren, den Erinnerungsbildern die Stirn zu bieten und vielleicht eines Tages zu lernen, damit zu leben. Die einzige realistische Wahl war, wie früher weiterzumachen. Darin hatte er ja auch einen gewissen Sinn gesehen: Die schlimmsten Verbrecher von der Straße zu holen, damit Menschen in etwas größerer Sicherheit lebten. Das aufzugeben würde nicht nur bedeuten, eine Arbeit zu verlieren, die er einigermaßen beherrschte. Er würde auch etwas beschädigen, was tiefer in ihm ruhte: das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, was dem Dasein Sinn gab.
    Aber schließlich, als er eine Woche in Skagen verbracht hatte und der Herbst sich dem Winter zuneigte, sah er ein, daß er es nicht aushalten würde. Seine Zeit als Polizist war vorbei, die Verletzungen hatten ihn unwiderruflich verändert.
    An einem Nachmittag, an dem der Nebel dicht über Grenen lag, fühlte er, daß die Argumente für oder wider erschöpft waren. Er würde mit seinem Arzt und mit Björk sprechen und nicht mehr in den Polizeidienst zurückkehren.
    |24| Irgendwo in seinem Innersten spürte er eine gewisse Erleichterung. Soviel stand erst einmal fest. Der Mann, den er auf dem Feld mit den unsichtbaren Schafen getötet hatte, würde seine Rache bekommen.
    An diesem Abend radelte er nach Skagen hinein und betrank sich in einer kleinen, verrauchten Kneipe mit wenigen Gästen und lauter Musik. Er wußte, daß es sich diesmal nur um eine Art Ritual handelte, daß er am nächsten Tag nicht weitersaufen müßte. Es galt, die schicksalhafte Erkenntnis zu bekräftigen: Seine Zeit als Kommissar war abgelaufen. Nachts auf dem Heimweg stürzte er vom Fahrrad und schürfte sich das Gesicht auf.
    Die Pensionswirtin hatte sich wegen seines Ausbleibens Sorgen gemacht und auf ihn gewartet. Trotz seiner lahmen Proteste reinigte sie die Wunde und versprach, seine verschmutzten Kleider zu waschen.
    Dann half sie ihm, die Tür zu seinem Zimmer aufzuschließen. »Heute abend war ein Mann hier und hat nach Herrn Wallander gefragt«, sagte sie, als sie ihm den Schlüssel gab.
    Wallander starrte sie verständnislos an. »Niemand fragt nach mir. Weiß ja gar keiner, daß ich hier bin.«
    »Dieser Herr aber doch. Er wollte Sie gern treffen.«
    »Hat er seinen Namen genannt?«
    »Nein. Aber es war ein Schwede.«
    Wallander schüttelte den Kopf und verscheuchte den Gedanken. Keiner wollte ihn treffen, und auch er wollte niemanden sehen, da war er ganz sicher.
    Am Tag darauf, als er sich müde und voller Reue wieder an den Strand begab, hatte er die nächtlichen Worte der Wirtin völlig vergessen. Der Nebel war dicht. Zum ersten Mal fragte er sich, was er hier draußen eigentlich verloren hatte. Schon nach einem Kilometer war er sich nicht mehr sicher, ob er weiter durchhalten würde. Deshalb setzte er sich auf das kieloben liegende Wrack eines großen Ruderboots, das halb im Sand begraben war.
    Da bemerkte er den Mann, der aus dem Nebel auf ihn zukam.
    |25| Es war, als hätte jemand ohne anzuklopfen sein Büro betreten, draußen an dem unendlichen Strand.
    Zuerst war
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