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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Autoren: Henning Mankell
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Nach der ersten Skagen-Reise hatte sein Arzt eine gewisse Besserung festgestellt, aber die Signale waren zu schwach, um von einer Veränderung zum Guten sprechen zu können. Wallander hätte gern die Medikamente abgesetzt, die er seit einem Jahr einnahm. Sie machten ihn müde und träge. Aber der Arzt hatte abgeraten und weiterhin zu Geduld gemahnt.
    Jeden Morgen beim Aufwachen fragte er sich, ob er es auch an diesem Tag schaffen würde, aus dem Bett zu kommen. Aber es fiel ihm jedenfalls hier in der Pension in Skagen nicht so schwer. Augenblicke von Schwerelosigkeit, von Erleichterung |21| darüber, die Last der Ereignisse des Vorjahres abwerfen zu können, ließen ihn für Momente ahnen, daß es trotz allem noch eine Zukunft gab.
    Am Strand, während der stundenlangen Spaziergänge, begann er sich allmählich nach all dem zu sehnen, was hinter ihm lag. Er suchte nach einer Möglichkeit, mit dem seelischen Druck fertig zu werden, vielleicht eine Kraft zu finden, die ihn wieder zum Polizisten machen könnte, zum Polizisten und Menschen.
    In dieser Zeit hörte er auch auf, Opern zu hören. Wenn er am Strand entlangspazierte, hatte er oft seinen Walkman dabei. Eines Tages jedoch hatte er einfach genug von dieser Musik. Als er abends in die Pension zurückkehrte, legte er all seine Opernkassetten in die Reisetasche und stellte sie in den Schrank. Am nächsten Tag radelte er nach Skagen und kaufte Aufnahmen von Popmusikern, die er nur dem Namen nach kannte. Ihn wunderte nur, daß er die Opernmusik, die ihn so viele Jahre begleitet hatte, keinen Augenblick vermißte.
    Es geht nichts mehr hinein, dachte er. Etwas in mir ist bis zum Rand gefüllt, bald werden die Wände nachgeben.
     
    Mitte Oktober kam er wieder nach Skagen; mit dem festen Vorsatz, diesmal Klarheit darüber zu gewinnen, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Sein Arzt, der nun deutliche Zeichen einer Besserung erkannte, hatte ihm zu einem erneuten Aufenthalt in der Pension in Dänemark geraten, da ihm das Leben dort so gut bekam und seine Depressionen abklingen ließ. Ohne seinen Eid zu brechen, hatte er auch Polizeichef Björk vertraulich zu verstehen gegeben, daß Wallander eventuell wieder in den Dienst zurückkehren könnte.
    Er kam also wieder nach Skagen und begab sich von neuem auf seine Wanderungen. Jetzt, im Herbst, lag der Strand wieder verlassen da. Er traf nur wenige Menschen. Oft waren es ältere Leute, hin und wieder ein paar verschwitzte Jogger und ab und zu eine neugierige Frau, die ihren Hund ausführte. Er nahm seine einsamen Patrouillengänge wieder auf, richtete sich sein Revier ein und marschierte mit immer energischeren |22| Schritten an der sich ständig verändernden Grenze zwischen Land und Meer entlang.
    Er dachte daran, daß er längst ein Mann mittleren Alters war, bald würde er fünfzig sein. In den vergangenen Monaten hatte er abgenommen, so daß ihm plötzlich Sachen wieder paßten, die er zuletzt vor sieben oder acht Jahren getragen hatte. Er merkte, daß er nun, nachdem er ganz mit dem Trinken aufgehört hatte, physisch in besserer Form war als seit langem. Darin schien ihm auch der Ausgangspunkt für eine mögliche Zukunft zu liegen. Wenn nichts Unvorhergesehenes eintraf, konnte er noch gut und gern zwanzig Jahre leben. Vor allem quälte ihn die Frage, ob er in den Polizeidienst zurückgehen konnte oder etwas ganz anderes versuchen mußte. An eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen auch nur zu denken, weigerte er sich. Das war eine Variante, die er nicht aushalten könnte. Er verbrachte seine Zeit draußen am Strand meist in Nebelschwaden gehüllt, aber es gab auch einzelne Tage mit hohem Himmel und klarer Luft. Dann glitzerte das Meer, und die Möwen ließen sich im Wind treiben. Bisweilen fühlte er sich wie ein Aufziehmännchen, das den Schlüssel im Rücken verloren hat und damit die Möglichkeit, neue Energie aufzunehmen. Er überlegte, welche Chancen er hatte, wenn er die Polizeilaufbahn verließ. Eventuell konnte er irgendwo bei einer Wach- und Sicherheitsgesellschaft anfangen. Ihm war allerdings nicht ganz klar, wozu die Erfahrungen eines Polizisten nützlich sein konnten, außer zur Fahndung nach Kriminellen. Es gab wenige Alternativen, falls er sich nicht zu einer radikalen Veränderung entschließen konnte. Aber wer wollte einen fast fünfzigjährigen ehemaligen Polizisten haben, der sich mit nichts anderem auskannte als mit mehr oder weniger unklaren Verbrechensszenarien?
    Wenn er hungrig
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