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Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Wallander 04 - Der Mann, der lächelte

Titel: Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
Autoren: Henning Mankell
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Er hatte sich im Schatten der Palmen versteckt und an gewissen Tagen nicht einmal das Hotel verlassen; unfähig, eine primitive Scheu vor der Anwesenheit anderer Menschen zu unterdrücken. Ein einziges Mal hatte er gebadet, allerdings unfreiwillig, denn er war alkoholisiert über einen Steg gewankt und ins Wasser gefallen. Eines späten Abends, als er trotz allem unter Leute gegangen war, um seinen Schnapsvorrat aufzufüllen, hatte ihn eine Prostituierte angesprochen. Nach dem Versuch, sie abzuweisen und gleichzeitig festzuhalten, hatten Verzweiflung und Selbstverachtung die Oberhand gewonnen. Drei Tage, an die er sich später nur unvollständig erinnern konnte, verbrachte er mit dem Mädchen in einem Schuppen, wo es nach Vitriol stank, auf einem schmutzigen, verschimmelten Lager. Kakerlaken krochen ihm über das schweißnasse Gesicht. Den Namen der Frau |17| hatte er vergessen; er war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt je genannt hatte. Er war über sie hergefallen wie in einem wahnsinnigen Lustrausch. Als sie ihm das letzte Geld abgenommen hatte, tauchten ihre beiden Brüder auf und warfen ihn hinaus. Er schwankte ins Hotel zurück, lebte von dem im Preis einbegriffenen Frühstück und war, als er wieder in Sturup landete, in einem noch schlimmeren Zustand als vor der Reise. Der Arzt, bei dem er sich regelmäßig vorstellen mußte, warnte ihn nachdrücklich davor, noch einmal einen solchen Ausflug zu machen. Er könnte sich totsaufen. Zwei Monate später jedoch, Anfang Dezember, war er wieder auf Tour gegangen, nachdem er sich von seinem Vater unter dem Vorwand Geld geliehen hatte, zur Verbesserung seines Lebensgefühls neue Möbel anschaffen zu wollen. In dieser Zeit hatte er es nach Möglichkeit vermieden, seinen Vater zu besuchen, der obendrein frisch verheiratet war, mit einer dreißig Jahre jüngeren Frau, seiner ehemaligen Haushaltshilfe. Mit dem Geld in der Tasche war er auf dem kürzesten Weg ins Reisebüro von Ystad marschiert und hatte einen dreiwöchigen Urlaub in Thailand gebucht. Es lief ab wie in der Karibik, mit dem einzigen Unterschied, daß er vor der totalen Katastrophe mit knapper Not bewahrt blieb. Ein pensionierter Apotheker, der im Flugzeug neben ihm gesessen hatte und ihn sympathisch fand, wohnte im selben Hotel und griff ein, als Wallander bereits zum Frühstück Alkohol trank und sich allgemein sonderbar benahm. So wurde Wallander eine Woche früher nach Hause geschickt. Auch diesmal hatte er seiner Selbstverachtung nachgegeben und sich mehrmals in die Arme von Prostituierten geworfen, eine immer jünger als die andere. Darauf folgte ein alptraumhafter Winter mit der anhaltenden Angst, sich die schreckliche Krankheit zugezogen zu haben. Ende April stand fest, daß er sich nicht angesteckt hatte. Aber er reagierte kaum auf den Bescheid, und ungefähr zu dieser Zeit begann sein Arzt ernstlich zu überlegen, ob Kurt Wallander noch für den Polizeidienst geeignet, ja, ob er überhaupt noch arbeitsfähig wäre. Vielleicht sollte man an eine vorzeitige Pensionierung denken.
    Damals fuhr er – floh er, wäre vermutlich eine bessere Beschreibung – |18| zum ersten Mal nach Skagen. Er hatte es geschafft, mit dem Trinken aufzuhören, nicht zuletzt durch seine Tochter Linda, die aus Italien zurückgekehrt war und bemerkt hatte, in welchem beklagenswerten Zustand sich sowohl seine Seele als auch seine Wohnung befanden. Sie hatte genau richtig reagiert, alle über die Zimmer verteilten Flaschen ausgegossen und ihn dann kräftig ausgeschimpft. Während der beiden Wochen, die sie bei ihm in der Mariagata wohnte, hatte er endlich jemanden zum Reden. Zusammen glätteten sie die schlimmsten Beulen an seiner Seele, und als Linda abreiste, schien sie seinem Versprechen, sich vom Alkohol fernzuhalten, zu vertrauen. Nachdem er wieder allein war und den Gedanken nicht mehr ertrug, weiterhin in der leeren Wohnung herumzusitzen, hatte er in der Zeitung die Annonce einer einfachen Pension in Skagen entdeckt.
    Vor vielen Jahren, kurz nach Lindas Geburt, hatte er dort einige Sommerwochen mit seiner Frau Mona verbracht, und diese Wochen gehörten zu den glücklichsten seines Lebens. Sie hatten wenig Geld und lebten in einem kleinen Zelt, waren aber überzeugt, sich im Mittelpunkt des Lebens und der Welt zu befinden. Er rief noch am selben Tag an und bestellte ein Zimmer. Anfang Mai zog er in die Pension. Die Inhaberin, eine aus Polen stammende Witwe, beachtete ihn nicht weiter, lieh ihm aber ein Fahrrad, so
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