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Walkueren

Walkueren

Titel: Walkueren
Autoren: Þráinn Bertelsson
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nachgehst und den Fall erst abschließt, wenn du davon überzeugt bist, dass wir die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben. In der Technischen Abteilung ist hoffentlich momentan nicht so viel zu tun, du könntest doch selbst ein bisschen ermitteln.«
    Guðrúns Gesicht hellte sich unvermittelt auf, verdunkelte sich aber genauso schnell wieder.
    »Aber ich bin doch nur Technikerin«, sagte sie. »Bei einer Ermittlung muss man mit Menschen reden können. Ich ermittele nur durchs Mikroskop. Ich bin völlig blind für alles, was drum herum passiert.«
    »Um in der Technischen Abteilung zu arbeiten, braucht man ein komplexes Fachwissen«, erklärte Víkingur. »Der Rest ist mehr eine Frage des gesunden Menschenver-Stands, und den hast du. Terje ist doch mit dir rausgefahren. Ich sage ihm, dass ihr den Fall gemeinsam bearbeiten werdet.«
    Víkingur schaute zu Guðrún, die auf einem der Stühle vor seinem Schreibtisch saß und ihre Zehen betrachtete, so als hätte sie sie noch nie zuvor wahrgenommen.
    »Abgemacht?«, sagte Víkingur als Zeichen, dass das Gespräch beendet sei.
    Sie murmelte etwas, das er nicht verstand, daher wiederholte er seine Frage. Sie räusperte sich und sagte:
    »Nein, das geht nicht.«
    »Warum geht das nicht?«
    »Weil ich aufhöre. Ich höre bei der Polizei auf. Ich bin hier, um dir das zu sagen.«
    »Denkst du schon lange darüber nach?«, fragte Víkingur. »Oder ist was passiert?«
     
    »Nicht bei der Arbeit«, sagte Guðrún und brach ganz plötzlich in Tränen aus. »Ich will einfach aufhören. Und wenn ich einen Grund dafür angeben muss, dann ist es wohl der, dass es nicht mit einer Ehe zu vereinbaren ist, Vollzeit zu arbeiten und Kinder großzuziehen.«
    »Wer sagt das?«, fragte Víkingur.
    »Ich sage das«, antwortete Guðrún. »Es wurde mir gestern Abend mitgeteilt.«
    »Jetzt bin ich aber platt«, entgegnete Víkingur. »Will Bergþór etwa auch im Krankenhaus kündigen – oder gilt diese Regel nur für Frauen?«
    Als Antwort auf die Sorgen der heutigen Zeit hat die Wohlstandsgesellschaft billige Papiertaschentücher in handlichen Verpackungen produziert, damit sich die Bewohner der westlichen Welt auf kultivierte Weise die Tränen aus den Augenwinkeln tupfen können, anstatt sich in die Hand zu schnäuzen und mit dem Ärmel über die Augen zu wischen. Víkingur zog unauffällig seine Schreibtischschublade auf, in der Hoffnung, ein Päckchen Taschentücher vorzufinden, griff ins Leere, erinnerte sich jedoch daran, dass im Verhörzimmer immer genug Vorrat vorhanden war.
    »Hör zu«, sagte er. »Wir müssen reden. Bleib mal kurz sitzen, ich hole uns einen Kaffee.«
     
    Als er wiederkam, lehnte Guðrún den Kaffee ab, nahm aber die Taschentücher entgegen, und es gelang ihr, die Tränen eine Weile zu unterdrücken. Víkingur setzte sich auf den Stuhl neben sie und lauschte ihrem Bericht vom gestrigen Abend. Als das Telefon klingelte, behauptete er, beschäftigt zu sein, und verlangte, in der nächsten halben Stunde nicht gestört zu werden.
    »Ich verstehe ja, dass das eine schwierige Lage für dich ist«, sagte er. »Ihr braucht Zeit, um euch über die Situation klar zu werden.«
    »Ich hab mich entschieden«, entgegnete Guðrún.
    »Was den Job angeht«, sagte Víkingur, »finde ich es ein bisschen voreilig, heute zu kündigen. Du kannst dir natürlich so lange wie nötig frei nehmen, aber am liebsten wäre mir, wenn du die Sache erledigst, über die wir eben gesprochen haben. Du kannst dir deine Arbeit frei einteilen, aber wir können nicht komplett auf dich verzichten, vor allem nicht so unerwartet. Du brauchst Zeit, um nachzudenken, aber wir müssen diesen Fall abschließen, und du bist dafür zuständig. Darauf kann ich mich doch verlassen, oder?«
    »Ich höre auf. Mein Entschluss steht fest.«
    »Das musst du natürlich selbst entscheiden. Aber es ist eine wichtige Entscheidung; du musst sie irgendwann fällen, aber ich möchte, dass du dir etwas Zeit lässt. Wenn man meint, unbedingt sofort etwas in die Wege leiten zu müssen, ist das ein unverkennbares Zeichen dafür, dass es vernünftiger wäre, es nicht zu tun.«
    Sie schaute auf und blickte ihn an.
    Víkingur bemerkte, dass ihre Wimperntusche gar nicht verlaufen war. Ob es endlich gelungen war, tränenfeste Maskara herzustellen?
    »Das hast du dir bestimmt gerade ausgedacht«, sagte sie und versuchte zu lächeln.
    »Ja«, sagte Víkingur. »Aber es stimmt trotzdem. Ich schlage vor, du nimmst dir für den Rest des
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