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Walküre

Walküre

Titel: Walküre
Autoren: Craig Russell
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wiederhergestellt und den Platz vor der Kathedrale erweitert, sodass sich die Majestät des Gebäudes entfalten und erneut bewundert werden konnte. Es war, als hätte die kleine Stadt ihre Seele zurückbekommen.
    Das Hotel war eine umgebaute Villa aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sylvies Zimmer hatte eine hohe Decke, war holzgetäfelt und mit alten Möbeln ausgestattet. Es beunruhigte sie, sich in barockem Luxus in einer Umgebung aufzuhalten, die sie nur als Teil der längst vergessenen kommunistischen Vergangenheit kannte.
    Sie rief per Handy die Nummer an, die ihr genannt worden war.
    »Frau Achtenhagen?«
    »Ja.«
    »Treffen wir uns in fünfzehn Minuten im Domschatz. Ich werde Sie finden.«
     
    Helmut Kittel war ein Wrack. Die Schultern des großen Mannes hatten sich vorgewölbt, und sein Brustkasten wirkte eingefallen. Seine Haut war gelblich grau und sein Haar spärlich und stumpf. Er war Sylvie aus dem Domschatz gefolgt und hatte sich neben sie auf die Bank im Garten der Kathedrale gesetzt.
    »Ich habe Ihre Mitteilung bekommen«, sagte Sylvie.
    »Damit hatte ich gerechnet.« Er lächelte.
    »Haben Sie die Nachrichten gesehen? Über Gina Bronstedt?«
    »Jawohl.« Seine Atmung war verschleimt und rasselnd.
    »Ihnen ist bestimmt klar, dass es das Werk der dritten sogenannten Walküre gewesen sein muss – derjenigen, deren Namen Sie angeblich kennen. Ich gebe zu, dass diese Information nun sehr wertvoll ist. Haben Sie einen Beweis für die Identität der dritten Walküre?«
    Er brach in einen tief sitzenden, krampfartigen Husten aus, der seinen Körper durchschüttelte und ihm Tränen in die Augen trieb. Als sich der Hustenanfall gelegt hatte, lehnte er sich auf der Bank zurück und atmete schwer, als wäre er in einer sauerstoffarmen Höhenregion.
    »Krebs?«, fragte sie ohne Bosheit.
    Er schüttelte den Kopf. »Emphysem. Zu viele Zigaretten. Die Kälte scheint es zu verschlimmern.«
    »Tja, Ihre Information ist nachrichtenreif. Sehr sogar. Und je interessanter sie für eine Nachrichtensendung ist, desto mehr zahlen wir dafür.«
    Er lächelte bitter. »Und Sie erschaffen die Nachrichten, stimmt's?«
    »Haben Sie die Akte oder nicht?« Sylvie konnte die Ungeduld in ihrer Stimme nicht mehr verbergen.
    »Am Anfang waren es zwölf Mädchen«, erklärte er. »Sie wurden auf drei eingegrenzt. Aber dann, im Endstadium der Ausbildung, musste eine der letzten drei ausgemustert werden. Liane Kayser. Ihre Ausbilder begriffen, dass man sich nicht auf sie verlassen konnte. Angeblich hatte sie soziopathische Neigungen. Es war ihr nicht anzumerken, wenn man sie vor sich hatte oder ihr zuhörte, aber sie schien unfähig zu sein, anderen Interessen als ihren eigenen zu dienen. Sie war bereit, alles zu tun, jeden zu töten, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen.« Er lächelte wieder. »Nein, Frau Achtenhagen, ich habe die Akte nicht. Außer den Fotos, die ich Ihnen geschickt habe, gibt es kein Material. Ich bin der Einzige, der weiß, wer Liane Kayser ist.«
    »Aha.« Sie musterte ihn, um seine Absicht zu ergründen.
    »Ich habe einmal eine Sendung gesehen, in der Sie interviewt wurden«, fuhr er kurzatmig fort. »Sie sprachen über die Arbeit heutiger Fernsehjournalisten. Darüber, dass es nicht mehr genügt, passiv zu sein und darauf zu warten, dass einem ein Ereignis oder eine Story in den Schoß fällt. Sie sagten, dass Journalisten Nachrichten im Wortsinne produzieren mussten. Durch den Fall des Engels von St. Pauli haben Sie sich wirklich einen Namen gemacht, nicht wahr? Niemand hatte das gleiche Insiderwissen wie Sie; immer waren Sie den anderen einen Schritt voraus. Sie haben die Nachrichten wirklich erschaffen, stimmt's ... Liane? Ich weiß, dass Sie der Engel von St. Pauli sind. Und ich weiß, dass Sie es taten, um Ihre Fernsehkarriere anzukurbeln. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass Anke die letzte Mordserie begangen hat. Wahrscheinlich hat Drescher ihr befohlen, alles so aussehen zu lassen, als wäre es Ihr Werk. Als wären Sie zurückgekehrt.«
    »Wo ist die Akte?«
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es keine Akte gibt.« Kittel lachte, was wieder einen heftigen Hustenanfall hervorrief. Er presste sich sein Taschentuch an den Mund, und als er es zurückzog, bemerkte sie, dass es mit hellroten Flecken gesprenkelt war. »Wir haben beide gewusst, dass es so kommen würde. Sie sind hier, und Sie wussten, auf welchen Treffpunkt die Anzeige in Muliebritas hingewiesen hat.«
    »Tut es sehr weh?«, fragte sie und
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