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Waldstadt

Waldstadt

Titel: Waldstadt
Autoren: B Leix
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schwer atmend auf ihrem Stuhl. Wortlos griff sie in eine Schublade, reichte dem Kommissar eine Zange, »ein Bolzenschneider fürs Dickere hängt dort hinten«, und drückte ihm zusätzlich eine große stabile Plastiktüte in die Hand.
     
    Dass einer der beiden Schutzpolizisten im Hof des Präsidiums bei Lindts Anblick halblaut raunte: »Wenn ich mal Hauptkommissar bei der Kripo bin, geh ich auch im Dienst einkaufen«, hörte er zwar, aber es störte ihn nicht weiter. Er lehnte sein altes Damenrad an die Sandsteinmauer, nahm die Tüte mit dem Eisenwaren-Aufdruck vom Lenker und machte sich befriedigt auf den Weg zur Kriminaltechnik, um seinen Einkauf loszuwerden.
     
    »Die Frau hat recht gehabt«, grinste Lindt zwei Tage später vielsagend, als das Ergebnis kam. Mit großer Wahrscheinlichkeit käme ein dünnes Stahlseil als Mordwaffe in Frage, zusammengedreht aus vielen Einzeldrähten und hauptsächlich in der Landwirtschaft für Elektrozäune verwendet. »Ein bewährtes Material; der alte Bauer in Eggenstein hat schon gewusst, was er nimmt.«
     
    Der Schwarze war auch begeistert vom Weidedraht. Dünn, unauffällig in der Tasche zu tragen, dennoch stabil, sehr flexibel und an einer unbenutzten Koppel problemlos in beliebiger Länge abzuzwicken – wie geschaffen für seine Bedürfnisse.
     
    Weniger begeistert war zwar die Führung der Karlsruher Kriminalpolizei von den ausbleibenden Ermittlungsergebnissen, aber Presse und Öffentlichkeit befassten sich mittlerweile schon wieder mit neueren Sensationen.
    Konkursverschleppung bei einer einstigen Vorzeigefirma des Softwarebereichs mit 800 akut gefährdeten Arbeitsplätzen ließen den Mord an einem einzelnen und dazu noch auswärtigen, unbekannten Studenten schnell in den Hintergrund treten.
    Nur die, die öfter mal mit dem Rad im Hardtwald unterwegs waren, hatten das Ereignis in der Stutenseer Allee noch eine Weile länger im Hinterkopf.
    So auch Carla Lindt. In der ersten Zeit nach dem Mord nahm sie die Straßenbahn, um in die Kanzlei zu fahren, wo sie den Schriftverkehr von drei Rechtsanwältinnen organisierte.
    Doch schon zwei Wochen später stieg sie wieder aufs Rad – auch, wenn dadurch ihr täglicher Weg am Tatort vorbeiführte.
    Oskar hatte sie beruhigt. »Du fährst ja nur bei Tag. Da sind noch jede Menge andere Radfahrer unterwegs. Da wird so was bestimmt nicht passieren. Außerdem kommen wir irgendwann sicher noch drauf, wer mit diesem Studenten eine Rechnung offen hatte.«
    Und auch, weil die 47 Spuren, die Lindts Truppe verfolgte, sich allesamt als Sackgassen ohne Ergebnis erwiesen, weil die Ermittlungen im Saarland und in der Pfalz keinerlei verwertbare Ergebnisse brachten und weil sich im familiären Umfeld von Carsten Blees rein gar keine Verdachtsmomente zeigten, sprach bald außerhalb der Kripo fast niemand mehr über den nächtlichen Mord im Hardtwald.

3
    Einem passte das allerdings überhaupt nicht. Mehrere Pinnwände in seiner Wohnung waren mit Zeitungsausschnitten gespickt. Mehrere Radioberichte hatte er auf den kleinen Kassetten seines Diktiergeräts und dann als Sprachdateien in seinem PC gespeichert.
    Von der Pressekonferenz, die in den Landesnachrichten des Südwestfernsehens ausgestrahlt wurde, fertigte er sogar eine DVD. Staatsanwalt Conradi und Kriminalhauptkommissar Lindt auf einer runden silbernen Scheibe; er hatte sich den Mitschnitt schon mindestens zehn Mal angesehen.
    Je mehr die Öffentlichkeit aber das Interesse an seinem Werk verlor, umso weniger spürte er die Befriedigung. Dieses unvergleichliche Gefühl, das sich während der Tat wie eine gewaltige Welle aufgebaut und sich später, als er mit dem Fahrrad des Studenten durch den mitternächtlichen Wald geradelt war, fast bis zum Rausch gesteigert hatte: es verschwand. Jeden Tag ein wenig mehr. Schließlich kam es nur noch in der Schwüle der Nacht, wenn er einsam ausgestreckt auf seinem Bett lag und die Augen fest zudrückte, um die Erinnerung mühevoll wieder herzuholen.
    Im Juli wurde der Schwarze von Tag zu Tag unruhiger und bald war ihm klar, dass er dieses Erlebnis unbedingt wiederholen musste.
    Er experimentierte mit den verschiedensten Materialien. Die Sisalschnur schien ihm nicht stabil genug. Was, wenn sie im entscheidenden Moment abreißen würde? Nein, sie schied aus.
    Das Elektrokabel war zwar schwarz, fest genug und bestimmt sehr biegsam, aber es fühlte sich unangenehm an; außerdem roch es in der Sommerhitze so nach Kunststoff. Nein, auch nicht.
    Er suchte im
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