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Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Titel: Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
Autoren: Horst Evers
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benötigen würde. Ich erinnere mich noch gut an das vorangegangene Telefongespräch:
    – Du, Junge, hier steht ja doch noch einiges Zeug von dir rum, ne.
    – Ja, Papa, ich weiß, aber das brauche ich alles nicht mehr. So was kann ich hier schneller und einfacher bekommen, gebraucht über die «Zweite Hand».
    – Ja … Aber hier steht das ja nu auch man nur im Weg rum, ne.
    – Ich weiß. Meinetwegen kann das alles weg.
    – Ja … Kann alles weg?
    – Kann alles weg.
    – Ja … Dann bring ich dir das mal nach Berlin, dann ist das hier alles weg.
    Rund vier Wochen später kam er tatsächlich mit einem vom Nachbarn geliehenen VW -Bus, der bis oben hin beladen war mit Kram und Möbeln. Zu drei Vierteln allerdings mit Möbeln, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich versuchte, diesen Umstand vorsichtig zu kritisieren.
    – Papa, was in Gottes Namen ist das alles für Zeug?
    – Ja … Als ich gesagt hab … dass ich zu dir nach Berlin fahre … weil du noch Möbel brauchst … da haben alle in der Nachbarschaft mal geguckt, was sie noch so überhaben.
    – Papa, ich habe gesagt, ich brauche überhaupt nichts!
    – Ja … Das sind zum Teil noch richtig gute, teure Sachen … Musste nur vielleicht so ’n bisschen mit Leim … Dann sind das noch gute Sachen.
    – Papa, hast du mir denn gar nicht zugehört?
    – Ja … Natürlich … Aber du weißt ja, wie die Leute sind.
    Das war das Königsargument meines Vaters. Wann immer er in Gefahr geriet, eventuell einen Fehler zugeben zu müssen, befreite er sich mit einem alles erklärenden «Du weißt ja, wie die Leute sind».
    Speziell bei Klagen meiner Mutter:
    – Sag mal, wo ist eigentlich die Milch? Ich sehe gar keine Milch bei den Einkäufen. Fehlt die etwa?
    – Ja … die fehlt. Hatte ich eigentlich kaufen wollen, aber … du weißt ja, wie die Leute sind.
    Wenn mein Vater sein Königsargument gebracht hatte, erübrigte sich jede weitere Diskussion. Das war auch mir seit frühster Kindheit klar. Also trugen wir die circa vier Kubikmeter Sperrmüll in meine kleine Wohnung. Dann drückte er mir einen Stapel Briefumschläge in die Hand: «Hier … deine Mutter hat schon mal die Karten, mit denen du dich ganz herzlich bei den Nachbarn bedankst, vorbereitet. Musste nur noch unterschreiben und abschicken … du weißt ja, wie die Leute sind.»
    Später, am Nachmittag, gingen wir dann noch gemeinsam ein wenig durch mein Berliner Viertel, bis wir uns in ein Café setzten, wo schließlich das geschah, weshalb mein Vater später und für alle Zeiten verkündete: «Berlin? Nein, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen, dort zu leben.»
    Denn als der Kellner kam, brachte er eine Karte und fragte meinen Vater, ob er frühstücken wolle.
    Ich werde nie das Gesicht meines Vaters vergessen. Wie versteinert saß er stockgerade auf seinem Stuhl und starrte den Kellner an. Um fünfzehn Uhr am Nachmittag, draußen wurde es schon langsam wieder dunkel, wurde er gefragt, ob er denn frühstücken wolle. Ganz langsam, schweigend und beinah verängstigt schüttelte er den Kopf. Erst einige Minuten später, als er sich einigermaßen gefangen hatte, fragte er mich leise: «Und wann esst ihr Mittag?»
    Später machte er bei jedem meiner Besuche in der Heimat, wenn er mich um acht Uhr morgens weckte, den schönen Witz: «Abendbrot ist fertig!» Rund zwanzig Jahre lang machte er diesen Witz. Und wir fanden ihn beide jedes Mal wieder lustig.
    Daran musste ich denken, als ich kürzlich in meinem wirklich ziemlich kleinen Heimatort ein neues Café entdeckte, das Frühstück bis achtzehn Uhr anbot. Bis achtzehn Uhr! Meine Herren! Aber gut, ich meine, man weiß ja, wie die Leute sind.

Altersvorsorge in Gütersloh
    Am frühen Abend in Gütersloh vor einem Lokal in der Nähe des Bahnhofs. Zwei Männer sitzen draußen an einem Tischchen. Der eine trinkt Bier, der andere redet.
    – Mir will einfach nicht in den Kopf, wieso du jeden Abend hier noch unbedingt ein Bier trinken musst. Das ist doch nicht gut.
    Der Trinkende verzieht keine Miene, antwortet aber trotzdem.
    – Ein Bier schadet nicht.
    – Ja, aber es nützt auch nichts. Und außerdem, jetzt rechne mal nach. Jeden Abend trinkst du hier ein Bier für zwei Euro. Das sind im Jahr siebenhundertdreißig Euro. Jetzt lass mal dreißig Jahre weitergucken. Dann wären das, Moment, einundzwanzigtausendneunhundert! Hübsche Summe. Jetzt stell dir mal vor, du würdest statt des Biers jeden Abend zwei Euro in die Büchse werfen, dann
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