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Wächterin der Träume

Wächterin der Träume

Titel: Wächterin der Träume
Autoren: Kathryn Smith
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Vergangenheit. Ich hatte es überlebt, und auch Amanda würde es überleben. Um mir Mut zu machen, holte ich einmal tief Luft und trat ein wenig näher zu den beiden, so dass ich ihr Gespräch mithören konnte, ohne aufdringlich zu wirken.
    »Brauchst du etwas?« Noah hielt die Hand seiner Exfrau. Ihre Knöchel waren wund und geschwollen. Sie schien sich tapfer gewehrt zu haben.
    »Du kannst nichts tun«, erwiderte Amanda mit dieser schrecklichen Stimme. »Es reicht schon, dass du da bist.«
    Das wollte ich ganz gewiss nicht hören. Ich war ein Außenseiter. Ich gehörte nicht hierher, sollte nicht die Qual dieser Frau mit ansehen, nicht miterleben, wie geborgen sie sich fühlte, jetzt, da ihr Mann – ihr
Ex
mann – bei ihr war.
    »Dawn ist auch hier.« Zu meiner Überraschung drehte sich Noah zu mir um. Wahrscheinlich wollte er sich vergewissern, dass ich noch da war.
    »Dawn?« Amanda spähte an Noah vorbei und sah mich mit dem Auge, das nicht zugeschwollen war, an.
    Das Versteckspiel war vorüber. Langsam ging ich zu Amandas Bett. Mit jedem Schritt wurde ihr Anblick schlimmer. »Hi, Amanda.« Ich hätte mich dafür entschuldigen sollen, dass ich Zeugin ihrer Qual wurde, doch ich wusste nicht, wie ich ihr das sagen sollte, ohne dass es völlig bescheuert klang.
    Ihre Miene zeigte eine Mischung aus Trotz und Argwohn. Diesen Gesichtsausdruck kannte ich von meiner gelegentlichen Arbeit mit Opfern von Gewalttaten. In den vergangenen Jahren hatte ich mich zwar überwiegend mit Träumen befasst, doch einige meiner Klienten hatten Ähnliches erlebt und litten an einem posttraumatischen Schock.
    »Danke, dass du gekommen bist.« Obwohl sie verprügelt und misshandelt worden war, blieben ihre Umgangsformen makellos. Doch diese Demonstration innerer Stärke galt nicht nur mir oder Noah, sie tat es für sich selbst. Amanda war entschlossen, sich um jeden Preis zusammenzureißen.
    Als sie mir ihre zierliche, verletzte Hand entgegenstreckte, trat ich noch einen Schritt vor und ergriff sie. Ich wollte ihr all die Kraft schenken, die ich in mir hatte. Ihr Anblick erfüllte mich mit dem dringenden Wunsch, sie zu beschützen. Ich wollte ihr beistehen und verhindern, dass man ihr jemals wieder weh tat. Sie war so viel kleiner und leichter als ich. Sie war blond, ich dunkel, sie gebräunt, ich blass, ihre Augen braun, meine blau. Sie war filigranes Gold, ich dagegen robustes Blech. Und doch, dachte ich, als ich sie so ansah, war sie eine der stärksten Frauen, die ich je gesehen hatte – weil sie sich sogar in einer Situation im Griff hatte, in der ich ein flennendes, rotznasiges Häufchen Elend gewesen wäre.
    »Bist du schon mal vergewaltigt worden?«
    Huch. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich an ihrer Stelle hätte jedem anderen zu verstehen gegeben, dass es ihn einen feuchten Kehricht anging. Ich wusste, was sie durchgemacht hatte, und in ihren Augen verschaffte mir das sicher einen Vorteil. Sie musste sich ohnehin schon hilflos genug fühlen.
    »Ja«, antwortete ich und widerstand der Versuchung, Noah anzusehen, der angespannt und wie erstarrt neben mir stand.
    Amandas Gesichtsausdruck veränderte sich – er wurde weicher. Anscheinend sah sie in mir gerade eine Art Schwester. Gemeinsam gehörten wir zu den statistischen »drei von vier Frauen«, die irgendwann in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Übergriffs wurden.
    Drei. Von lausigen vier.
    Noah räusperte sich. »Ich dachte, du würdest vielleicht gern mit Dawn reden.«
    Amanda blickte ihn ausdruckslos an. »Worüber?«
    »Über das, was geschehen ist.«
    Ihre Miene wurde wieder härter, es schien, als hätte er soeben ihr Vertrauen enttäuscht. »Nein.«
    Das respektierte ich. Ach was, ich war sogar froh darüber. Das hier war nicht mein Spezialgebiet, und selbst wenn, ging mir die Sache einfach zu nahe. Und trotz allem war ich ein wenig sauer auf Noah, weil er ihr ohne mein Einverständnis diesen Vorschlag gemacht hatte.
    Bevor Noah noch etwas sagen konnte, trafen glücklicherweise Amandas Eltern ein. Noah musste sie benachrichtigt haben, nachdem er mich angerufen hatte. Ihr Vater, ein stämmiger Mann mit dichtem grauem Haar, war bleich vor Schreck. Ihre Mutter, eine hübsche kleine Blondine, hatte offensichtlich geweint und rang um Fassung. Am leisen Beben ihrer Schultern konnte ich erkennen, dass sie kurz davor war, erneut in Tränen auszubrechen.
    Eltern wollten immer für ihre Kinder stark sein. Doch was diese elterliche Fürsorge
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