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Wachkoma

Wachkoma

Titel: Wachkoma
Autoren: Jasmin P. Meranius
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Fluge.
    ***

Am nächsten Tag schloss sich Beata erneut der Gruppe an. Die ältere Frau mit dem grauen Haar war auch wieder da. Beata stellte fest, dass sie noch immer sehr traurig wirkte.
    Am Vortag hatte Beata drei Karten fertiggestellt und war recht zufrieden gewesen mit ihrem Ergebnis. Das wollte sie heute allerdings steigern und folglich keine Zeit verlieren.
    Die erste Karte, die ihr in die Hände fiel, war herzförmig und verlangte geradezu nach einem Spruch voller Liebe und Kitsch.
    In dem kleinen Büchlein nach einem geeigneten Vers suchend, registrierte Beata aus dem Augenwinkel, wie sich die Tür öffnete.
    Ausgerechnet die Dürre kam herein.
    Sie lief ein paar Schritte um den Tisch herum und setzte sich wortlos neben Beata, die wieder an dem leeren Teil des langen Tischs saß.
    Beata würdigte die Dürre dieses Mal keines Blickes.
    Die Dürre durchbrach die Stille im Raum und sagte ohne lange abzuwarten und mit einem energischen Tonfall zu Beata: „Du vergisst tatsächlich die Gräber deiner Väter und das Geburtsrecht deiner Kinder!“
    Beata stockte kurz vor Schreck der Atem.
    Hatte sie richtig gehört?
    Doch sie blickte noch immer nicht auf. Die Blicke, die diese Dürre sonst erwartet hätten, gefolgt von einem kleinen Donnerwetter, wollte sie dieser stillen Frauenrunde nun wirklich nicht zumuten.
    „Du behandelst die Erde, unsere Mutter, und den Himmel wie Dinge, die man kaufen, ausbeuten und weiterverkaufen kann!“, fuhr die Dürre schließlich eindringlich fort.
    Beatas Atem hatte zwischenzeitlich wieder eingesetzt.
    Ihr war heiß, doch sie würde sich in diesem Moment bewusst keine Abkühlung verschaffen und dieser anscheinend Geistesgestörten eine Bühne für ihren Auftritt geben.
    Stattdessen ignorierte sie die Dürre weiter, so schwer es ihr auch fiel.
    Die Dürre verschwand schließlich, als habe sie auch nie eine Reaktion erwartet.
    Sie war zwar gegangen, doch ihre Worte hatten den Raum noch längst nicht verlassen, als sollten sie bleiben, um aufzuwühlen.
    Beata starrte noch immer auf die herzförmige Grußkarte vor sich. Und die Worte der Dürren blieben tatsächlich und wühlten sie auf.
    Wie schwach musste ihr Geist derzeitig bloß sein, dass sie zuließ, dass man sie derart in Rage brachte?
    Es reichte doch, dass ihr Geist sie im Konferenzraum einfach im Stich gelassen hatte, als ihr geradezu das Licht ausgeknipst wurde. Wohin sie das geführt hatte, war ja nicht zu übersehen.
    Jetzt beschäftigte sie auch noch das Gerede dieser Dürren, was sie unter normalen Umständen ein müdes Lächeln gekostet hätte. Ihr Sekretär konnte davon wohl ein Lied singen.
    Doch es war tatsächlich so – selbst an einem Ort der Ruhe ließ sie sich in Unruhe versetzen. Beata ließ sich von ihrem Ärger natürlich nichts anmerken.
    Sie kaschierte ihn – wie es eben üblich war zu kaschieren –, und das mit Erfolg, denn es hatte keine der Frauen auch nur ansatzweise interessiert.
    Oder hatten sie es nicht mitbekommen?
    Dass jemand nicht gehört haben konnte, was ihr soeben Empörendes an den Kopf geworfen worden war, schien ihr jedoch ausgeschlossen.
    Beata fragte sich, was wohl mit dem Mutter-Erde-Gerede gemeint sein sollte.
    Sie hatte Betriebswirtschaftslehre studiert und vertrat wie viele ihrer Kollegen eine sehr klare Meinung zur Erde und zu dem Umgang mit ihr.
    Wo Wirtschaftlichkeit gefragt ist, hat Moral keine Chance. Das Leben war schließlich ein einziger Wettbewerb.
    Wer langsamer läuft, wird überholt.
    Wie sollten große Industrieunternehmen auf ihre effizienten Produktionsstrategien verzichten und auf ökologisch korrektere Varianten umsteigen, wenn die Konkurrenz dies nicht tat?
    Ein absolutes Aus für die Wettbewerbsfähigkeit.
    Und wo anfangen und aufhören mit dem Kaufen, Ausbeuten und Verkaufen der Erde?
    Die Erde und auch der Himmel wurden doch schon seit Menschengedenken benutzt, um Profit zu machen, dachte sich Beata.
    Augenblicklich musste sie an die Geschichte mit dem Ablass in der katholischen Kirche denken.
    Kirchensteuer – ein Grund, weshalb sie bereits vor Jahren aus der Kirche ausgetreten war.
    Obwohl es Beata wieder zu ärgern begann, dass sie gedanklich so viel Zeit mit diesem absurden Quatsch verbrachte, ließ es sie nicht los. Dabei spendete sie regelmäßig an ihr afrikanisches Patenkind und trennte zum Schutz der Umwelt den Müll.
    Ein ausgleichender Beitrag, wie sie immer fand.
    Jemanden dazu zu bewegen, an Gott und den Himmel zu glauben, würde schwierig
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