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VT07 - Niemandes Welt

VT07 - Niemandes Welt

Titel: VT07 - Niemandes Welt
Autoren: Dario Vandis
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Senkung. Im nächsten Jahr zahlt er wieder den normalen Satz.«
    »Sehr wohl, Eure Excellenz. Ihr seid eine gütige ­–«
    »Turlututu! Spare er sich die Schmeichelei. Und das war wirklich der einzige pétitionaire?«
    Marie zog vor einem Handspiegel ihren dunkelroten Lippenstift nach. Der Kanzler starrte auf ihr anziehendes Gesicht, das gleichzeitig verlockend und distanziert wirkte. Das schwarze, eng anliegende Hofkostüm betonte Maries weiblichen Körper. Die blauweißen Federn auf den Schultern waren der einzige Schmuck, den sie trug – das Geschenk eines Halbbruders südlich des Viktoriasees. Prinzessin Marie hielt die Federn in Ehren, weshalb man munkelte, dass ihr dieser Halbbruder mehr bedeutete, als es schicklich war.
    Kanzler Goodefroot konnte darüber nur schmunzeln. Prinzessin Marie und eine Liebschaft! Allein die Vorstellung, einen Mann in ihrem Schlafgemach anzutreffen, in ihrem Bett, neben ihrem perfekten kaffeebraunen Körper… Eher hätte ein Dutzend Efranten anstelle des linsenförmigen Träger- und der neun Stabilisierungsballons Orleans-à-l'Hauteur am Himmel gehalten!
    »Kanzler!«, erinnerte sie ihn mit scharfer Stimme.
    Goodefroot schrak zusammen und hätte fast den Federkiel fallen lassen.
    »Ist er vielleicht eingeschlafen? Ich habe gefragt, ob es noch weitere Bittsteller gab.«
    Er blätterte in den Unterlagen, um Zeit zu gewinnen. Tatsächlich waren da über zwanzig Seiten mit Anträgen auf Vergünstigungen, die er Marie gar nicht erst präsentierte: Kaufleute, die um Steuernachlässe baten, Heiler, die ihre mangelnde Ausstattung beklagten, ja sogar einige Bauern, die das von Prinzessin Marie ausgerufene Recht eines jeden Menschen wahrnahmen, die Wolkenstadt zu betreten, um seine Anliegen vorzubringen.
    Goodefroot fürchtete, dass Marie ihnen allen zustimmen und damit den kaiserlichen Haushalt komplett überlasten würde. Er konnte nicht begreifen, weshalb sie so viel Zeit und Geld darauf verschwendete, ihren Untertanen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie tat, als wäre die kaiserliche Schatzkammer ein Quell ohne Grenzen… Dabei mussten ja auch noch genügend Geld für die Verwaltung und die höfischen Annehmlichkeiten übrig bleiben!
    Ihre Augen wurden schmal. »Er verheimlicht mir doch nicht etwas, Kanzler?«
    »Äh, non, Eure Excellenz – gewiss nicht. Aber dieses Lumpenpack, das sich hier den ganzen Tag die Klinke in die Hand gibt…«
    »Mir scheint, dieses Lumpenpack zahlt die Steuern, von denen er – wie auch der Rest der meist nutzlosen Hofschranzen – sich Speis und Trank sowie ein Bettchen mit einem Dach über dem Kopf leistet! Möchte er auf all dies verzichten?«
    »Selbstverständlich nicht«, krächzte er.
    »Ich auch nicht«, erwiderte die Prinzessin. »Deshalb ist es wohl nur recht und billig, wenn wir dem Volk eine Gegenleistung bieten.«
    Er seufzte ergeben. »Aber ich gebe zu bedenken, dass Eure Schwestern Lourdes und Antoinette anders darüber denken…«
    Sie lächelte ihn süffisant an. »Meine ehrenwerten Schwestern sind dafür bekannt, wie zuvorkommend sie ihre Untertanen und vor allem ihr Hofpersonal behandeln. Wenn es ihm beliebt, kann er ihnen gern seine Bewerbungsunterlagen zukommen lassen.«
    Goodefroot riss erschrocken die Augen auf.
    »Na also«, sagte sie zufrieden, »und jetzt antworte er endlich.«
    »Da ist noch eine Person«, erwiderte er kleinlaut, »die sich leider nicht abwimmeln ließ. Sie bestand darauf, Euch zusprechen.«
    »Führe er sie herein!«
    Goodefroot nickte ergeben und gab den Wachen ein Zeichen. Sie öffneten die Tür, hinter der der mächtige Umriss einer korpulenten Gestalt sichtbar wurde.
    Sie wartete nicht ab, bis Marie sie aufforderte, näher zu kommen. Stattdessen stampfte sie mit ausgreifenden Schritten heran, und ihre Stimme zerschnitt wie eine Schere die Stille im Raum.
    »Guten Abend, Marie!«, rief Prinzessin Antoinette.
    ***
    ***
    ***
    Die Stimme klang einfühlsam und sonor, und sie gab Kinga das Gefühl, dass dort draußen tatsächlich noch jemand daran interessiert war, wie es ihm ging – jemand, dessen Haut nicht grau und trocken und dessen Augen nicht tief in die Höhlen zurückgesunken waren.
    »Wie ist dein Name?«, fragte die Stimme.
    Kinga hob den Kopf. Die Stimme war irgendwo über ihm aufgeklungen, aber da war niemand zu sehen. Nicht einmal die Umrisse der Öffnung, durch die man ihn in sein Gefängnis befördert hatte. Nur Schwärze.
    »Mein Name ist Kinga«, krächzte er.
    »Ich freue
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