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Vorsaison

Vorsaison

Titel: Vorsaison
Autoren: Kristine Weitzels
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ich in den
Genuss, mehr meinen eigenen Gedanken nachhängen zu können.
     
    Sonja und meine Kusine freundeten
sich noch am ersten Abend mit ein paar deutschen Fußballern an. Diese waren mit
ihrer Mannschaft nach Lloret gekommen und wohnten im selben Hotel wie wir. Ich
verabscheute Fußball genauso wie ich laute, biertrinkende Männer verabscheute.
Sie erinnerten mich zu sehr an meinen Stiefvater und meinen Freund zu Hause und
an zu Hause wollte ich nicht erinnert werden. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Nicht am ersten Abend und auch nicht am zweiten oder am dritten. Vielleicht später.
Dann würde ich mir Gedanken darüber machen müssen, wie es weitergehen sollte.
     
    Ich war noch nie im Ausland gewesen, außer
als Kind mit den Großeltern in Österreich. Also nahm ich mir vor alles zu
meiden, was irgendwie deutsch war: Restaurants mit dem Hinweis auf deutschen
Kaffee und deutsches Schnitzel, Läden mit der Aufschrift >Wir sprechen
Deutsch<  und Bars und Discotheken mit deutschen Männern! Ich wollte Spanien
pur — doch was ich damals noch nicht wusste, dass >Spanien< in den
Hochburgen des Tourismus nicht einfach zu finden ist.
     
    Während ich so durch die engen Gassen
Lloret de Mars lief, lernte ich Ernie kennen. Ernie war Holländer, lebte schon
seit etwas über zwei Jahren in Lloret und >proppte< fürs „Hollywood“. (Proppen
nannte man damals das, was die Typen in den hohen Wildlederstiefeln, mit
Goldkettchen und offenen Hemden, abends auf der Straße taten: Touristinnen
anquatschen und Werbung für die Discothek machen, für die sie gerade arbeiteten.) Ernie erzählte mir von seinem Leben in Lloret und wie locker alles war. Ernie
zeigte mir nach Feierabend, meist morgens so gegen 4.00 Uhr, auch die Bars und
Bodegas, in die ein gewöhnlicher Tourist eigentlich nicht kam — außer
vielleicht sie war weiblich und in der Begleitung eines Einheimischen. Wobei
auch durchaus Leute wie Ernie zu den Einheimischen zählten. Touristen nannte
man umgangssprachlich giris und Lloret de Mar lebte von den giris und dem Tourismus. Leute, die für den Tourismus arbeiteten, waren die wahren Einheimischen
von Lloret. Egal ob es sich dabei nun um Spanier, Deutsche, Holländer, Engländer
oder Südamerikaner handelte. Mir gefielen die lockere Art und der Lebenswandel,
das gute Wetter und das Meer.
     
    Das „Hollywood“ wurde schnell zu
meiner Lieblings-Discothek — obwohl es vornehmlich von deutschen giris besucht wurde. Jeden Abend kam der Geschäftsführer, Juanito, gleich angerannt
und steckte mir Getränkegutscheine zu. Anscheinend mochte er mich und Ernie
konnte gar nicht verstehen, wieso ich mich darüber überhaupt wunderte. Schnell
freundete ich mich auch mit den camareras und camareros im
„Hollywood“ an. Die camareros, die Kellner, bedienten im Saal, während
die camareras, die weiblichen Bedienungen ausschließlich hinter den
Theken arbeiteten. Neben Englisch hatte ich auf der Hotelfachschule auch
Französisch gelernt und obwohl wir uns teilweise mit Händen und Füssen verständigten,
klappte die Kommunikation ganz gut. Ernie brachte mir dann die ersten
spanischen Begriffe bei, so wie >qué pasa-was ist los<, >qué tal-wie
geht’s< und >tranquilo-ruhig<. Tranquilo war damals
gerade das Lieblingswort aller Propper und dauernd hieß es: >>Qué pasa
amigo — tranquilo, hé!<<
     
    So verging die Woche. Tagsüber lag
ich am Strand und las ein Buch nach dem anderen. Abends ging ich ins
„Hollywood“. September in Lloret de Mar bedeutete, dass der Sommer und damit
die Saison fast vorüber waren. Das Wetter war jedoch immer noch fantastisch und
laut Ernie viel zu warm für die Jahreszeit. Ernie sehnte sich nach kühlen
Regentagen. Sonne und Hitze hatte er in den letzten Monaten wohl genug gehabt.
Im Gegensatz zu den anderen Proppern, die spätestens Anfang Oktober Lloret de
Mar bis zum Start der nächsten Saison verließen, blieb Ernie das ganze Jahr
über dort. Weil es im Winter aber kaum Arbeit für Leute wie ihn gab, musste
sich Ernie von dem Geld, das er im Sommer verdiente, genug zur Seite legen, um
im Winter über die Runden zu kommen. Komischerweise habe ich Ernie damals nie
gefragt, warum er im Winter Lloret nicht auch verließ, so wie seine Kollegen
und Freunde. Aber vielleicht war ich für diese Frage auch einfach zu sehr mit
mir selbst beschäftigt gewesen.
     
    Jedenfalls bewohnte Ernie ein
schönes, geräumiges und voll möbliertes Appartement mit drei Schlafzimmern.
Zwei der Zimmer hatte er
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