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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle
Autoren: Berndt Rieger
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auch wandte, waren da die Körper von Menschen, die sich wanden und dabei schrien vor Angst und Schmerz, Menschen, die weit älter waren als ich, Männer im besten Lebensalter, kräftig gebaut manche, nahezu riesenhaft, und nun doch hilflos, nackt und schwitzend wie ich. Man konnte sie, soweit es die Schmerzen zuließen, im flackernden Schein von Kerzen sehen, die auf allen Seiten der Höhle bis an die Decke in Nischen standen und einen gelben, klaren Schein warfen, gleichwohl aber gab es eine nicht unbeträchtliche Rauchentwicklung zur Decke hin, in deren Mitte oben etwas Blaues herab schimmerte, und ein kühler Lufthauch spürbar wurde, sobald irgendwo in der Höhle ein Vorhang zur Seite gezogen wurde. Da unten aber – unsere Füße befanden sich in Reichweite der Menschen, die da unten wie besessen tanzten und dabei gellende Laute ausstießen und immer wieder mit spitzen Gegenständen in die Füße der Hängenden stachen, weshalb ihre Köpfe, Arme, Beine, Rümpfe mit Blut verschmiert waren – vernahm man auch Trommeln und ein wimmerndes Musikinstrument, das ich nicht kannte. Wenn ich die Augen schloss, war ich mit meinem Schmerz allein, doch das Brüllen der Männer und die Panik, die sich hier oben so unmittelbar wie eine anbrandende Welle ausbreitete und bis ins Innere schwappte, ließ sie mich wieder aufreißen. Ich war zu kleinwüchsig, um von den Stichen erreicht zu werden und mochte von allen, die hier hingen, der Ruhigste sein. So dauerte es eine Weile, bis ich die Männer erkannte, mit denen ich hier aufgeknüpft war: Es waren jene, die mich aus England hierher gebracht hatten. dass sie nun wie Schlachtvieh an die Decke gehängt worden waren, schien mir ein klarer Beleg dafür, dass die Mehrheit ihres Volkes diese Handlung missbilligte und sogar als todeswürdiges Verbrechen empfinden mochte. Was aber hatte ich verbrochen? Wie konnte es sein, dass ich, der Entführte, die gleiche Strafe erleiden sollte wie die Entführer? War ich hier nicht ein König in diesem Land, oder zumindest ein Thronfolger?
    Im nächsten Augenblick trat schlagartig Stille ein. Es war wie bei einem Fischschwarm, bei dem ein einzelner Fisch einen Hai erspäht hat und ohne zu denken übergangslos in die Gegenrichtung davon schnellt, und Abertausende von anderen Fischen tun es ihm gleich, in vollkommener Parallelität, ohne genau zu wissen warum, und so war es auch bei den Tanzenden, die gerade noch trunken wie von Sinnen gekreischt hatten. Es dauerte ein Weile, bis man merkte, vor wem sie da ehrfurchtsvoll und lautlos zurückgewichen waren, sodass unter den Füßen der Hängenden ein Kreis frei wurde, ein rot verwischter, klebriger Kreis, in den hinein es noch rote Fleckchen und schwere Tropfen regnete, auf die prächtige, goldweiß schimmernde Robe des Mannes, der dort hoch aufgerichtet stand, mit einer Lanze, deren breite, spitze Klingeßelbst aus Gold geschmiedet schien und eine gezackte Schneide aufwies. Zumindest nehme ich an, dass es ein Mann war. Auch sein Kopf, überkrönt von einem riesigen, geflügelten Helm, war rundum in goldweißes Tuch gehüllt, das Gesicht hinter einer Goldmaske verborgen, die lächelte. Ich sah diese Gestalt wie im Traum, zwischen den Leibern der Hängenden und von oben, aber in der hypnotischen Stille schien es mir so, als könne ich etwas hören, das das Ohr sonst nicht aufzunehmen wagt. Es klang wie ein Sirren, ein surrendes Geräusch, hoch wie die Stimme eines fremdartigen Wesens, das nur die Toten hören. Und im nächsten Augenblick stieß diese Lanze zu, wie der Kopf eines aufgebrachten Tieres, stieß in die Leiber der Menschen, in ihre Bäuche, in ihre Brust, und es war, als würden Blutsäcke aufgestochen. Alles platzte, röchelte, rann. Wieder und wieder stieß die Lanze zu, rot blitzend, inmitten eines Gebrülls, das immer dünner wurde, fadendünn zuletzt, als der letzte der Männer die Eingeweide seines aufgeplatzten Bauchs hinab ergoss. Dann war es wieder ruhig, bis auf das Baumeln der Sterbenden und der Leichen, und das Knirschen der Seile, die an der Decke an ihren Knoten rieben.
    Jedes Mal hatte ich den scharfen Biss der Lanze erwartet, der auch mir den Tod bringen würde, und als dieser ausgeblieben war, nahm ich das zuerst gar nicht wahr, denn meine Wahrnehmung war im Ausnahmezustand. Ich befand mich irgendwo anders, in einer süßen Stille, in der ich nichts fühlte und nichts hörte. Ich muss bewusstlos gewesen sein, und erwachte dann doch von einer schweren, drückenden Stille.
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