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Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle

Titel: Voodoo Holmes - Holmes auf Haiti. Novelle
Autoren: Berndt Rieger
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warteten, der uns zur nächsten Hafenstadt bringen sollte, döste ich ein bisschen, während die Gesandten mit Krummsäbeln bewaffnet um die Sänfte standen und sie bewachten. Man reichte mir ein klebrig süßes Getränk, und das mit so großer Unterwürfigkeit, dass ich beschämt davon war. Es wurde nur mit Gesten gesprochen, und Lächeln, aber es tönte kein Laut. Ich befand mich mit einem Mal in einer ganz anderen Welt und betrachtete jene, die ich gewohnt war, durch den Schleier meiner Sänfte. Der Tag erwachte langsam, und es standen da Engländer auf dem Bahnsteig und warteten auf den Morgenzug. Ich aber würde nie wieder zu dieser Welt gehören, das spürte ich. Und obwohl alles ganz anders kam, habe ich im gewissen Sinn mit dieser Vermutung Recht behalten.
    Diese besondere Behandlung, die man mir zukommen ließen, dauerte auch noch die ganzen Tage und Wochen an, die wir auf See waren. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die prächtige Kajüte, in der ich untergebracht war, sogleich nach meinem Eintritt versperrt worden war. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich aber noch, es handle sich hier um eine Vorsichtsmaßnahme. Manchmal schleicht ein unsichtbarer Feind in die königliche Kammer und mordet dort im Interesse seiner Sippe. Oder er tut es, um demokratische Verhältnisse zu ermöglichen. Wie auch immer: Mir war die besondere Stellung, die ich im namenlosen Volk, das mich heimführte, einnahm, durchaus bewusst und erkannte zugleich, dass es eine gefährdete Stellung war.
     
    Später dann wurde mir klar, dass die zuvorkommende Behandlung, die ich erfuhr, nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass ich ein Gefangener der Gesandten eines fremden Volkes waren, das dem Äußeren nach zu urteilen, wohl am Ehesten in Afrika ansässig sein musste. Ich trieb in dem Schiff, das älteren Datums war, ein Schoner aus dem 18. Jahrhundert, der irgendwelchen Briganden gehören mochte, wohl südwärts, aber auch, wie mir schien, westwärts auf dem unendlichen Ozean einer ungewissen Zukunft entgegen. Und selbst wenn ich mich einer Täuschung hingegeben gewollt hätte, wäre doch sehr bald klar geworden, in welch verzweifelter Lage ich mich befand. Ich war damals ja doch nicht viel mehr als ein Schuljunge, eine Halbwaise, die in irgendeinem dieser Internate, an denen das Herzstück des englischen Weltimperiums nicht arm ist, eine Verstörung erfuhr, von der man noch hätte sagen können, dass sie eine Erziehung war. Ich hatte die Einsamkeit früh kennen gelernt, und was man in einem Internat erlebte, konnte mich nicht schrecken. Ganz im Gegenteil, ich war, wie mir auf dem Schiff bewusst wurde, aufgehoben gewesen und geschützt in der Routine eines Schullebens. Man wusste dort in diesem namenlosen Kaff auch, wo ich war. Nämlich am Arsch der Welt. Nun aber, merkte ich, was es heißt, ausgeschissen zu werden und verloren zu gehen in der Welt in einer Art und Weise, die einen entmenschlicht. Ich verlor auf dieser langen Überfahrt nicht nur Heimat und Orientierung, sondern ich fürchte, sagen zu müssen: Ich verlor mich selbst. Zumindest den, der ich gewesen war. Gut, wer war ich gewesen? Ein Halbwüchsiger, mit Pickelgesicht, der anderen gern Streiche spielte und sich für dunkle Welten interessierte. Oft und oft hatte ich Mitschüler hypnotisiert und manchen dabei glaubhaft gemacht, ein Frosch oder eine Mücke oder die Katze zu sein, auf beides Jagd machte. Aber dass ich nun in das Dunkel eintauchte, das ich so lange gesucht hatte, hätte ich nicht erwartet. Und ich merkte es ja auch nur graduell, dass es so war. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass diese Empfindung, der Realität verloren zu gehen, mit den Speisen und Getränken zu tun hatte, die man mir gab. Erst träumte ich sehr intensiv davon, und dann wurde es so schlimm, dass ich überhaupt nicht mehr schlafen konnte und im Wachzustand Dinge erlebte, von denen ich nicht sagen kann, ob es Traumgebilde waren. Ich nehme an, dass ich zwischendurch eingeschlafen sein muss, denn manchmal, wenn ich den Kopf wandte, lag da etwas auf dem Boden, von dem ich nicht sagen kann, ob es nun als Speise oder als Getränk gemeint war oder als kultischer Gegenstand. Einmal konnte es ein Pferdekopf auf einem Tablett sein, oder eine Hühnerkralle, oder ein Kelch mit Blut oder einfach ein Stück Fleisch, dass man durch die Mangel gedreht hatte. Oder eine Karaffe, in der man Tee vermutet hätte, doch das Gesöff machte einen traurig und ließ einen stundenlang hemmungslos schluchzen, ohne
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