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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand
Autoren: Verbrechen
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Ende waren es Pornos, die man in Deutschland nicht legal
erwerben konnte. Irgendwann setzte Pocol ihr den ersten Schuss Heroin, jetzt
war sie von ihm abhängig und liebte ihn. Pocol hatte keinen Sex mehr mit ihr,
seit seine Freunde sie in einem Film als Urinal benutzt hatten. Sie war nur
noch da, weil er sie nach Beirut verkaufen wollte - Menschenhandel
funktionierte auch in diese Richtung -, und schließlich musste das Geld für den
Schönheitschirurgen wieder reinkommen.
     
    Die Freundin verband Ozeans Platzwunde, und Pocol machte
Witze, dass er jetzt wie ein Indianer aussehe, »Verstehste, wie Rothaut«. Es
gab erneut frischen Tee und Süßigkeiten, die Freundin wurde weggeschickt, und
die Verhandlungen konnten fortgesetzt werden. Man einigte sich auf fünfzig Prozent,
die Uhren und die Schale sollten an Pocol gehen. Samir und Özcan gestanden ihre
Fehler ein, Pocol betonte, es sei nicht persönlich gemeint, und zur
Verabschiedung umarmte er Samir und küsste ihn herzlich.
     
    Kurz nachdem die beiden den
Laden wieder verlassen hatten, rief Pocol Wagner an. Wagner war ein Betrüger
und Hochstapler. Er war 1,60 Meter groß, seine Haut war durch die Jahre im Solarium
gelb geworden, seine Haare waren braun gefärbt und am Ansatz einige Zentimeter
grau herausgewachsen. Wagners Wohnung war ein Klischee der Achtzigerjahre.
Sie erstreckte sich über zwei Etagen, das Schlafzimmer mit Spiegelschränken,
Flokatiteppichen und einem enormen Bett lag im oberen Stock. Das Wohnzimmer
unten war eine Landschaft weißer Ledersofas, weißer Marmorböden, weißer
Lackwände und Couchtischchen in Diamantenform. Wagner liebte alles, was
glitzert, selbst sein Funktelefon war mit Glassteinchen überzogen.
    Vor einigen Jahren hatte er
Privatinsolvenz angemeldet, seinen Besitz auf Verwandte verteilt, und weil die
Justiz in diesen Dingen träge ist, gelang es ihm, immer weiter Schulden zu
machen. Tatsächlich besaß Wagner nichts mehr; die Wohnung gehörte seiner
Exehefrau, seine Krankenversicherung konnte er seit Monaten nicht bezahlen,
und die Rechnung des Schönheitssalons für das Permanent-Make-up seiner
Freundin war noch immer offen. Das Geld, das er früher leicht verdient hatte,
hatte er für Autos und Champagner-Koks-Partys auf Ibiza ausgegeben. Jetzt waren
die Investmentbanker, mit denen er damals gefeiert hatte, verschwunden, und
er konnte sich die neuen Reifen für den zehn Jahre alten Ferrari nicht mehr
leisten. Wagner wartete seit Langem auf die eine große Gelegenheit, die alles
zum Guten wenden würde. In Cafes bestellte er bei Kellnerinnen »'ne Latte« und
brüllte dann jedes Mal wieder vor Lachen über den Altherrenwitz; Wagner litt
schon sein ganzes Leben unter seiner Bedeutungslosigkeit.
    Während der durchschnittliche
Betrüger nur hochstapelt, war Wagner geschickter. Er gab sich als »harter
Berliner Junge von ganz unten«, der »es geschafft« habe. Menschen aus
bürgerlicheren Schichten fassten Vertrauen zu ihm. Sie glaubten, er sei zwar
grob, laut und unangenehm, aber gerade deshalb unverstellt und ehrlich. Wagner
war weder hart noch ehrlich. Er hatte es - auch nach seinen Maßstäben - nicht
»geschafft«. Er war nur auf eine verschlagene Art intelligent, und weil er
selbst schwach war, erkannte er die Schwächen anderer Menschen. Er nutzte sie
auch dann aus, wenn er keinen Vorteil davon hatte.
     
    Manchmal bediente sich Pocol
Wagners. Er verprügelte Wagner, wenn er frech wurde, es das letzte Mal zu lange
her war oder er einfach Lust dazu hatte. Ansonsten hielt er ihn für Abfall. Für
diesen Job aber schien Wagner ihm der Richtige zu sein. Pocol hatte die
Erfahrung gemacht, dass er außerhalb seiner Kreise wegen seiner Herkunft und
Sprache nicht ernst genommen wurde.
     
    Wagner erhielt den Auftrag,
sich bei Tanata zu melden und ihm anzubieten, dass er Schale und Uhren
zurückkaufen könne, Einzelheiten sollte er noch offenlassen. Wagner sagte zu.
Er bekam die Telefonnummer Tanatas heraus und sprach zwanzig Minuten mit dem
Sekretär. Wagner wurde versichert, dass die Polizei nicht eingeschaltet würde.
Nachdem er aufgelegt hatte, freute er sich, streichelte die beiden Chihuahuas,
die er Dolce und Gabbana getauft hatte, und überlegte, wie er Pocol doch noch
ein wenig betrügen könnte.
    Eine Garotte ist ein dünner
Draht, an dessen Enden kleine Holzgriffe angebracht sind. Sie entwickelte sich
aus einem mittelalterlichen Folter- und Henkersinstrument - bis 1973 wurden damit in Spanien
Todesurteile vollstreckt
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