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Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)

Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)

Titel: Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt: Eine heitere Historie Europas (German Edition)
Autoren: Sebastian Schnoy
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irgendwelchen Schlachten aus: Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing.
    Wenn von vielen Tausenden kämpfenden Männern die Rede ist, von grandiosen Siegen, und Archäologen später nur ein Dutzend Schwerter ausgraben können, kann da etwas nicht stimmen. Trotzdem sind die Aufzeichnungen dieser Historiker bis heute oft die einzige uns verfügbare Quelle, und so orientieren sich auch aktuelle Geschichtsbücher an den Schlachten und Kriegen, ohne dass man erfährt, was die Leute gegessen, wie sie gewohnt und welche Spiele sie gespielt haben. Diese sogenannte Alltagsgeschichte ist erst in den 1980 er Jahren in den Fokus der Historiker gerückt. Vorher war man der Meinung, das normale Alltagsleben der Menschen sei irrelevant.
    Aber wieso gibt es noch heute die obsessive Fixierung von Historikern auf Kriegsschauplätze? Natürlich ist es unendlich traurig, wenn Menschen sterben. Meiner Ansicht nach werden Wissenschaftler aber auch von einer gewissen Sensationslust getrieben. Kriege sind packende Dramen. Bad news is good news, sagen Journalisten, schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, denn sie werden mehr gelesen. Hätte man in hundert Jahren nur die Zeitungen als Quelle über unser heutiges Leben, würden die Menschen zu der Auffassung kommen, dass wir Deutschen in einer schrecklichen Zeit gelebt haben müssen, in der es ausschließlich Greise und keine Kinder mehr gab, dazu explodierende Finanzmärkte, verseuchte Lebensmittel und Fernsehsendungen, in denen Menschen Melodien furzen.
    Gerade Letzteres ist wirklich erschreckend, und deshalb habe ich seit zwei Jahren keinen Fernseher mehr. Es ist so schön, wie viel man dann lesen kann! Nein, im Ernst, die dokumentierten Ereignisse verzerren die Wirklichkeit. Wer erfasst schon unsere Radtouren entlang von Elbe oder Rhein? Das Glück der Menschen, die Drachen steigen lassen, mit Freunden gemeinsam kochen, die tanzen gehen oder einen Sport wie Gummistiefelweitwurf betreiben? Alles viel zu belanglos für die meisten Historiker. Was in Erinnerung bleiben wird, sind die Katastrophen. Das war schon immer so. Was war das berühmteste Kreuzfahrtschiff der Welt? Die Titanic. Der berühmteste Turm der Welt? Der schiefe aus Pisa.
    Im letzten Sommer lernte ich in Großbritannien Reisende aus Mexiko kennen. Ich konnte nicht anders, schon mit meiner zweiten Frage erkundigte ich mich nach dem Drogenkrieg – das Einzige, worüber hierzulande berichtet wird, wenn es um Mexiko geht. Zum Glück klärten mich meine Mitreisenden freundlich auf: Die problematischen Regionen lägen ganz woanders, dicht an der Grenze zu den USA , sie hingegen lebten in der Hauptstadt, ohne Probleme. Ach so. Man kann in Mexiko leben, ohne in eine Schießerei verfeindeter Drogenkartelle zu geraten? Das ahnte ich nicht.
    Bei Teheran denken wir sofort an Steinigungen, bei Afghanistan an Selbstmordattentäter, bei Afrika an einen ganzen Kontinent voller Aids und Armut. Doch der größte Teil der Menschen in diesen Teilen der Welt haben alle einen Alltag jenseits oder auch trotz dieser Themen. Und selbst wenn man sich mit der größten anzunehmenden Katastrophe, dem Krieg, befassen will, lernen wir kaum etwas über ihn, da auch dann der Fokus meist auf den Entscheidungen und Verlautbarungen der Machthaber liegt. Nicht so bei der Kriegsreporterin Janine de Giovanni; sie stellt die wichtige Frage, die beim Kriegsausbruch selten von Historikern beachtet wird: Wie fühlt es sich für den einzelnen Menschen an, wenn ein Krieg ausbricht? Woher weiß man, es ist an der Zeit, die Koffer zu packen und zu gehen? Denn selbst ein Krieg ist für den Einzelnen ein Ereignis, das vor dem Hintergrund des eigenen Alltags stattfindet. «Deutschland hat Russland den Krieg erklärt – nachmittags Schwimmschule», schrieb Franz Kafka schon 1914 in sein Tagebuch. Krieg im gleichen Atemzug mit dem Schwimmkurs zu nennen ist aus unserer heutigen Sicht verwunderlich, fast ungeheuerlich – aber genau darum geht es. Wie sein Leben angesichts des Krieges weiterführen, wie weiterhin wandern gehen, Gitarre lernen, seine jüdische Freundin treffen?
    Viele scheuen sich in die Geschichte einzutauchen, weil sie annehmen, sie sei nur eine Aneinanderreihung von Kriegen und Gräueltaten. Aber diese Annahme ist falsch. Der Planet, auf dem wir es uns gemütlich gemacht haben, ist rund fünf Milliarden Jahre alt, und die allerlängste Zeit herrschte himmlischer Frieden. Die Kriege kamen erst mit den Menschen.
    Gut, wer zu Beginn des Dreißigjährigen
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